Nach Wahlsieg in Großbritannien Labours Suche nach dem Geld
Den Briten stehen harte Sparmaßnahmen bevor. Finanzministerin Reeves wirft der Vorgängerregierung vor, das Geld zum Fenster hinausgeschmissen und das vertuscht zu haben. Die wiederum warnt: Labour verfolge ein ganz anderes Ziel.
Schwarze Löcher sind genau genommen nicht schwarz, sondern unsichtbar. Vielleicht hat Rachel Reeves, die neue Finanzministerin des Britischen Königreichs, das Bild deshalb gewählt, um die Lage der britischen Finanzen zu beschreiben. Denn als sie die Haushaltsbücher der konservativen Vorgängerregierung recherchierte, habe sie festgestellt, dass noch viel mehr Geld fehle als ursprünglich angenommen: insgesamt 22 Milliarden Pfund, etwa 26 Milliarden Euro.
Die Tories seien eine ungedeckte Verpflichtung nach der anderen eingegangen, berichtet sie im britischen Unterhaus. Sie hätten Krankenhäuser, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel versprochen - obwohl gar kein Geld dafür da gewesen sei. Denn die Tories hätten gewusst, dass nach ihnen jemand anders aufräumen werde.
Vertuschte Ausgabenüberschreitung?
Schlimmer noch, sagt Reeves: Die Konservativen hätten ihre Ausgabenüberschreitung verschwiegen, geradezu vertuscht. Ein "schwarzes Loch" also. Dabei muss Großbritannien aus Reeves' Sicht gerade jetzt jeden Penny zweimal umdrehen. Denn Labour hatte sich verpflichtet, die alte, mittelfristige Haushaltsplanung der Konservativen beizubehalten. Und die sieht nicht viel Spielraum vor.
Gleichzeitig ist der Ausgabenbedarf riesig, etwa im kaputtgesparten Gesundheitsdienst oder bei maroder Infrastruktur. Auch die Gehälter im öffentlichen Dienst stagnieren, es gibt Dutzende Baustellen. Labour ist auch gewählt worden, um genau diese Probleme endlich anzupacken.
Heizkostenzuschuss nur noch an Bedürftige
Doch statt nun Geld auszugeben, kündigt Reeves an, erst einmal sparen zu wollen. In den nächsten zwei Jahren sollen das zunächst etwa 16 Milliarden Euro sein. Zwar sollen auch die Ministerien schauen, wo sie Geld zur Seite legen - etwa indem sie weniger für Marketing und Berater ausgeben.
Aber einige von Reeves' Maßnahmen treffen die Bürger ganz direkt: Heizkostenzuschüsse im Winter wolle die Regierung nur noch an bedürftige Rentner zahlen, statt wie bislang an alle. Verpflichtender Mathematikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler bis zum 18. Lebensjahr werde gestrichen. Ebenso wie mehrere große Straßenbauprojekte. Und der Bau neuer Krankenhäuser werde nochmal unter die Lupe genommen.
Lohnerhöhungen sind aber drin
Doch dass Labour eine neue Austeritätspolitik auffahre, wie ihre konservativen Vorgänger es in den letzten Jahren getan hatten, ist auch nicht ganz richtig. Reeves kündigte Lohnerhöhungen für den öffentlichen Dienst an, und zwar ordentliche: Lehrkräfte, Pflegekräfte, Ärzte und Soldaten sollen zwischen 5,5 und sechs Prozent mehr Gehalt bekommen. Auch der Streit mit Assistenzärzten über Gehaltserhöhungen, der zu vielen Streiks geführt hatte, sei begraben.
Wirtschaftswissenschaftler spricht von einem Schock
Reeves' Amtsvorgänger Jeremy Hunt warnt im britischen Unterhaus, Labour nutze das Defizit nur als Vorwand, um für die weiteren großen Vorhaben später die Steuern erhöhen zu können. Wenn Reeves Ende Oktober ihren vollständigen Haushaltsplan vorstelle, werde das ein historischer Betrug sein, so Hunt. Arbeitende Familien würden Reeves nie wieder verzeihen. Genau das, betonte Reeves jedoch, werde sie nicht tun: Die Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer und Sozialversicherung würden von Labour nicht angefasst.
Britische Ökonomen geben Reeves Recht. Dass die Zahlen schlimm sein mussten, sei natürlich klar gewesen, sagt etwa Jonathan Portes, Wirtschaftswissenschaftler am Londoner King’s College. Aber wie wenig die Konservativen tatsächlich vorgesorgt hätten, habe er nicht erwartet.
Allein sechs Milliarden höhere Ausgaben für den umstrittenen Ruanda-Plan, das hätten nicht einmal die Finanzexperten der konservativen Regierung zugetraut. Portes spricht im Anschluss an Reeves Rede von einem Schock. Er beschreibt die Sparmaßnahmen der Ministerin als "vernünftig", weil sie relativ wenig Schmerzen verursachen und dem Wirtschaftswachstum nur wenig schaden würden.
Reeves hält an "Securonomics"-Prinzip fest
"Securonomics" (ein Kofferwort aus den englischen Begriffen "secure" und "economics" - also "sicher" und "Wirtschaft") ist ein Begriff, der immer wieder von den britischen Zeitungen verwendet wird, um Reeves' Ansatz zu erklären. Er beschreibt den Glauben, dass der Staat sich aktiv in den freien Markt einmischen muss, um dringende Probleme zu lösen. Und dass die Wirtschaft wachsen muss, auch mit Hilfe der Privatwirtschaft, damit Wohlstand verbessert werden kann.
An diesem Prinzip scheint Reeves trotz der angekündigten Sparmaßnahmen zunächst festzuhalten: mit dem Nationalen Wohlstandsfonds etwa, der Investitionen auch Privater im ganzen Land tätigen soll, der Verstaatlichung der Bahn oder der Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst. Einfach mehr Kredite aufzunehmen, um den selbst gesetzten fiskalen Spielraum zu ignorieren, ist Reeves vermutlich nicht "sicher" genug.
Ökonomen sagen jedoch auch voraus, dass sehr wohl noch schwierige Entscheidungen über Ausgaben und auch Steuern anstehen werden. Der 30. Oktober, an dem Rachel Reeves ihren Haushaltsplan verkündet, wird also weiterhin mit Spannung erwartet.