Flüge nach Ruanda Großbritannien hält an Abschiebe-Plänen fest
In letzter Minute wurde der erste britische Abschiebeflug nach Ruanda gestoppt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ordnete die Aussetzung an. Die britische Regierung will trotzdem an dem Vorhaben festhalten.
Großbritannien hält an den geplanten Abschiebeflügen nach Ruanda auch nach einem vorläufigen Stopp durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest. Die britische Regierung werde mit Sicherheit gegen das Urteil der Richter vorgehen, sagte Arbeitsministerin Therese Coffey dem Sender Sky News. "Das Wichtigste ist, dass wir die Sache sofort angehen." Großbritannien bereite bereits einen neuen Anlauf für einen Flug vor.
Die Regierung von Premierminister Boris Johnson will mit dem Verfahren nach eigener Aussage gegen Schleuserbanden vorgehen und unerwünschte Einreisen über den Ärmelkanal unattraktiv machen. Vergangenes Jahr waren mehr als 28.000 Migranten und Flüchtlinge über dem Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen.
Am Dienstagabend war der erste geplante Abschiebeflug in das ostafrikanische Land im letzten Moment abgesagt worden. Das Straßburger Gericht hatte erklärt, die Ausweisung solle ausgesetzt werden, bis die britischen Gerichte eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungen getroffen haben. Dabei geht es um den Zugang der Abgeschobenen zu fairen Verfahren in Ruanda sowie die Einstufung des Landes als sicher. Diese Entscheidung ist für Juli vorgesehen.
Gericht trotz Brexit zuständig
Der Menschengerichtshof in Straßburg gehört nicht zur EU, sondern zum Europarat und ist damit auch nach dem Brexit für Großbritannien zuständig. Arbeitsministerin Coffey verneinte die Frage, ob Großbritannien eine Veränderung seiner Beziehungen zu dem Gericht in Erwägung ziehe. "Zu diesem Zeitpunkt sind mir keine Entscheidungen und noch nicht einmal Andeutungen in dieser Richtung bekannt", sagte die Ministerin.
Solche einstweiligen Maßnahmen gemäß Regel 39 der Verfahrensordnung des EGMR kann der Gerichtshof jedem Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention verbindlich anordnen. Sie werden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr auf irreparablen Schaden ausgesprochen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg ist kein Organ der Europäischen Union. Hinter dem EGMR steht der Europarat. Dort sind auch Staaten Mitglied, die nicht in der EU sind - beispielsweise die Türkei oder das Vereinigte Königreich. Aus diesem Grund kann der EGMR auch für diese Länder verbindliche Entscheidung treffen. Inhaltlich prüfen die Straßburger Richterinnen und Richter, ob die jeweiligen staatlichen Maßnahmen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind.
Üblicherweise ist der Weg zum EGMR erst dann eröffnet, wenn auf nationaler Ebene der Rechtsweg ausgeschöpft ist, also kein Rechtsmittel im Land mehr möglich ist. In besonders eilbedürftigen Fällen kann Straßburg aber auch im Eilverfahren vorläufige Entscheidungen treffen. Zumeist geht es in diesen Fällen inhaltlich um drohende Abschiebungen. In der Vergangenheit waren pro Jahr 100 bis 200 solcher Eilanträge erfolgreich.
Von Christoph Kehlbach und Maximilian Bauer, ARD-Rechtsredaktion
Ruanda will Menschen nach wie vor aufnehmen
Die Regierung in Ruanda erklärte, sie lasse sich durch das jüngste Gerichtsurteil nicht von dem mit Großbritannien vereinbarten Vorhaben abbringen. Das Land stehe bereit, die Migranten aufzunehmen und ihnen Sicherheit und Lebensgrundlage zu bieten, sagte eine Regierungssprecherin. Dabei ist Ruanda nicht ganz uneigennützig: Nach Johnsons Plänen soll Ruanda anfangs 120 Millionen Pfund - umgerechnet etwa 144 Millionen Euro - für die Zusammenarbeit bekommen.
Abschiebungen vielfach kritisiert
London hatte mit dem Flug seinen umstrittenen Ruanda-Pakt einläuten wollen, mit dem die konservative Regierung weitere Schutzsuchende von der Einreise ins Vereinigte Königreich abschrecken will. Die Vereinten Nationen und viele andere Organisationen sehen darin einen Bruch internationalen Rechts.
Seit Bekanntwerden des "Ruanda-Deals" im April hatte es dagegen massive Proteste insbesondere von Menschenrechtsorganisationen und den Kirchen gegeben. Am Dienstag prangerte die Kirche von England das Vorgehen in einem offenen Brief als "unmoralisch" und eine "Schande" für das Land an.