Georgien Ein Duell mit ungewissem Ausgang
In Georgien legt der neue Präsident heute seinen Amtseid ab. Die noch amtierende Präsidentin sieht sich nach manipulierten Wahlen als rechtmäßige Volksvertreterin. Der Ausgang ist ungewiss.
Es ist der 31. Protesttag. Auch an diesem Samstag kommen Tausende Menschen zusammen, um gegen die georgische Regierung zu protestieren, die die Demonstranten nach der manipulierten Parlamentswahl im Oktober als illegitim ansehen. Verschiedenste Gruppen der Gesellschaft - Ärzte, Germanistinnen, ethnische Minderheiten wie Armenier und Aserbaidschaner, Menschen aus den Regionen, ob Mingrelien oder Kachetien - treffen sich auch jetzt zur Weihnachtszeit abends zu Märschen. Wenn sie am Parlamentsgebäude auf dem festlich geschmückten Rustaweli-Boulevard eintreffen, werden sie von zahlreichen Demonstranten begrüßt.
So reich an Protesten die Geschichte des seit 1991 unabhängigen Georgien ist - einen solch umfassenden und lang anhaltenden Widerstand gegen eine Regierung gab es selten. Dabei schien der Protest nach der Parlamentswahl bereits abzuflauen.
Doch dann kündigte Regierungschef Irakli Kobachidse am 28. November an, die Verhandlungen für die Aufnahme des Landes in die EU bis nach der nächsten Parlamentswahl Ende 2028 auszusetzen. Auch wenn seine Partei "Georgischer Traum" vorgibt, man werde trotzdem bis 2030 EU-Mitglied, werfen ihr Opposition, Nichtregierungsorganisationen und die bislang amtierende Präsidentin Salome Surabischwili vor, die Westbindung Georgiens zu zerstören und sich stattdessen Russland zu unterwerfen.
Loyale Präsidentschaft
Am heutigen Sonntag nun legt der neue Präsident Micheil Kawelaschwili im Parlament seinen Amtseid ab. Er war am 14. Dezember von einer Wahlversammlung aus Parlamentsabgeordneten und Regionalvertretern gewählt worden. Zwar hat der Staatspräsident nach dem Vorbild des deutschen Bundespräsidenten wenig Macht. Doch mit dem ehemaligen Fußballspieler ohne höheren Bildungsabschluss will die Regierungspartei sicherstellen, dass ein absolut loyaler Politiker höchster Staatsrepräsentant ist.
Auch Surabischwili hatte sich 2018 vom "Georgischen Traum" aufstellen lassen. Sie gewann damals noch in einer Direktwahl, die auch schon von Manipulationsvorwürfen überschattet war. Dirigieren ließ sie sich aber nicht vom Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili, dem Mann hinter dem "Georgischen Traum".
Sie schlug sich ganz auf die Seite der Opposition, als Iwanischwili seine Partei zunehmend offen auf Konfrontation zur EU gehen ließ. Die Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, die faire Bedingungen für alle Parteien sichern sollen, stellt der "Georgische Traum" als Einmischung in innere Angelegenheiten dar.
Der zunehmend autoritär auftretenden Partei stellte sich Surabischwili als die Volksvertreterin gegenüber, die bis zu rechtmäßig abgehaltenen Wahlen im Amt bleiben müsse. Sie besuchte die Protestierenden vor dem Parlamentsgebäude, als ihr Nachfolger im Plenarsaal gewählt wurde. Auch zeichnete sie Journalisten aus, die bei den Protesten verfolgt und verletzt worden waren.
Gegenseitige Drohungen
Vor einer Woche forderte sie Iwanischwili auf, sie in ihrem Amtssitz, dem Orbeliani-Palast unweit des Parlaments, aufzusuchen. Sie wolle mit ihm über die Organisation einer Neuwahl des Parlaments verhandeln.
Statt einen Dialog einzugehen, ließ Iwanischwili ihre Festnahme androhen, sollte die 72-Jährige weiter als Präsidentin auftreten. Dass sie nach Ablauf ihrer Amtszeit keinen Personenschutz vom Staat mehr erhält, hatte die Regierungspartei zuvor per Gesetzesänderung festgelegt.
Surabischwili ihrerseits verkündete, dass sie weiter das Volk vertreten werde. Und: "Ich werde der georgischen Armee treu bleiben - ihren Veteranen, Soldaten und treuen Partnern, die sie aufgebaut und gestärkt haben. Ich bin und bleibe ihr Oberbefehlshaber", schrieb sie auf X.
Was passiert am Sonntag?
Offen ließ sie, was sie anlässlich der Amtseinführung Kawelaschwilis unternehmen wird. Sie wird voraussichtlich nicht im Orbeliani-Palast auf ihre Festnahme warten, aber auch nicht auf weitere öffentliche Auftritte verzichten wollen. Schon ihre Ansprache vor einigen Tagen versuchten in Schwarz gekleidete Männer zu verhindern, die offenbar in Verbindung mit der Regierung stehen.
Die Protestbewegung und die Opposition kündigten für heute keine Aktionen an. Surabischwili ist nicht die Anführerin der aus dem Volk heraus organisierten Proteste. Ihre Festnahme würde aber als weitere Provokation verstanden.
Auch für den Fall, dass sich Surabischwili ins Exil zum Beispiel in ihr Geburtsland Frankreich zurückziehen sollte, bliebe der Konflikt mit der Regierung bestehen. "Wir müssen unseren Kampf auf der Straße fortführen und weiter für internationalen Druck auf den 'Georgischen Traum' sorgen", sagt die Menschenrechtsanwältin Tamta Mikeladse über das weitere Vorgehen.
Die Polizei hatte die Proteste nach dem 28. November mit massiver Gewalt zerschlagen und zahlreiche Demonstranten festgenommen, denen nun langjährige Haft droht. In den vergangenen zwei Wochen hielten sich die Einsatzkräfte dann zurück.
Die Vergangenheit vor Augen
Bewaffnete Kämpfe um den Rustaweli-Boulevard, Einschüsse am Parlamentsgebäude und Brände in den umliegenden Gebäuden - tief im nationalen Bewusstsein verankert sind die Schwarz-Weiß-Bilder aus der Zeit nach der Unabhängigkeit 1991, als Georgien im Bürgerkrieg versank und der Staat ein Jahrzehnt lang versagte.
Auch wenn Zustände wie damals gefürchtet sind und das Tor für ausländische - russische - Einflussnahme weit öffnen würden, fehlt es bis heute an einer Kultur des Dialogs und Ausgleichs.
Harte Sanktionen gefordert
Nach der letzten Parlamentswahl 2020 gelang es EU-Ratspräsident Charles Michel in mühsamen Verhandlungen, einen Kompromiss zwischen dem "Georgischen Traum" und der Opposition auszuhandeln, den beide Seiten dann nicht einhielten.
Die Regierungsgegner sehen nur in harten Sanktionen gegen einzelne Personen aus dem Machtapparat eine Chance auf Veränderungen. Einige Staaten wie Litauen, Estland und Lettland verhängten einige Einreisesperren. Außenministerin Annalena Baerbock schrieb am Freitag auf X von Optionen wie der Aufhebung der Visaliberalisierung für Regierungsvertreter und weiteren gezielten Sanktionen. Die Auflage neuer Projekte zur Entwicklungszusammenarbeit mit der Regierung wurde bereits gestoppt.
Die US-Regierung deklarierte Bidsina Iwanischwili ebenfalls am Freitag als Agenten Russlands - mit der Folge, dass sein Vermögen im Bereich der USA eingefroren wird. Surabischwili erhielt eine Einladung zu Trumps Amtseinführung am 20. Januar in Washington. Ob der Milliardär deshalb gegenüber seinem eigenen Volk nachgeben wird, wird sich nun zeigen.