Nach der Parlamentswahl in Georgien Ein Ergebnis voller Zweifel
Bei der Parlamentswahl in Georgien hat die Wahlkommission den Sieg der Regierungspartei erklärt. Die Opposition berät über neue Proteste - und hofft auf Unterstützung aus der EU und den USA.
Die Nacht ist ruhig verlaufen in Georgien. Die Jubelfeiern über den Sieg der Regierungspartei Georgischer Traum am Abend fielen kurz aus, nachdem die Zentrale Wahlkommission die ersten vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht hatte.
In der Hauptstadt Tiflis sieht es nach einem sonnigen und entspannten Sonntag aus, gäbe es nicht hier und da erhitzte Gespräche unter Passanten und hingen da nicht die Wahlplakate des Georgischen Traums, die Hass- und Angstpropaganda herausschreien.
Inzwischen legte die Wahlkommission die Zahlen nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Wahllokale vor. Demnach ordnet sie 54,8 Prozent der Wählerstimmen dem Georgischen Traum zu - für die Regierungspartei eine komfortable Mehrheit für eine vierte Amtszeit, wenn auch nicht die Zwei-Drittel-Mehrheit, die ihr Gründer, der schwerreiche Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili, als Ziel ausgegeben hatte.
Hohe Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung betrug knapp 60 Prozent. So hoch lag sie zuletzt bei der Parlamentswahl im Jahr 2012, als der Georgische Traum die Vereinte Nationale Bewegung (UNM) des damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili von der Macht ablöste.
Die liberale Opposition wertete die Wahlbeteiligung als Hinweis darauf, dass die Wähler des Georgischen Traums überdrüssig seien und für einen Wandel stimmen wollten. Die Ergebnisse bildeten diese Realität angesichts massiver Manipulationen schon weit im Vorfeld der Wahl aber nicht ab.
Druck und Angst
Unter anderem hatte die Regierungspartei die Wahlgesetzgebung so geändert, dass sie mit ihrer Mehrheit im Parlament die Besetzung der Zentralen Wahlkommission weitgehend bestimmen konnte.
Der gestrige Wahltag wurde zum Höhepunkt einer monatelangen Kampagne der Regierungspartei, die geprägt war von massivem Druck auf die liberale Opposition und einer Propaganda, die in der Bevölkerung Angst vor Krieg mit Russland und dem Verlust der Souveränität schüren sollte, falls die pro-europäische Opposition gewinnen sollte.
Internationale und lokale Wahlbeobachter beklagten Manipulationen in zahlreichen Wahllokalen besonders in Regionen, in denen ethnische Minderheiten wie Armenier und Aserbaidschaner leben. Dort fielen die Ergebnisse für den Georgischen Traum besonders hoch aus.
Sie forderte eine Untersuchung der Fälle und mahnte weitere demokratische Reformen an. Zugleich lobte Missionschef Pascal Allizard die "demokratische Vitalität" in der Südkaukasusrepublik - trotz einzelner Rückschritte. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert gewesen, sagte der Franzose. Auch andere Beobachter hoben hervor, dass die Zivilgesellschaft insgesamt stark präsent gewesen sei, um die Stimmabgabe und die Auszählung zu kontrollieren.
Opposition erkennt Zahlen nicht an
Mangels unabhängiger Umfrageergebnisse und einer großen Unzufriedenheit mit der Politik insgesamt war im Vorfeld schwer abzuschätzen, wie stark die Oppositionsparteien abschneiden würden. Angesichts einer Fünf-Prozent-Hürde hatten mehrere Parteiführer und Politikerinnen ihre Abneigungen gegeneinander überwunden und Bündnisse gebildet.
Die einstige Regierungspartei UNM kam mit Verbündeten auf zehn Prozent. Eine weiteres Bündnis aus dem Umfeld der UNM erreichte ebenfalls zehn Prozent.
Eine Allianz, das sich zwischen Regierungspartei und UNM neutral gibt, erreichte knapp neun Prozent. Die Partei von Ex-Premier Giorgi Gacharia, der 2021 zurückgetreten war, kam auf 7,75 Prozent. Er hatte sich im Frühjahr im Interview mit tagesschau.de noch überzeugt gezeigt, dass er 20 Prozent erreichen würde.
Gacharias Partei ebenso wie die anderen Vertreter der liberalen Opposition erklärten die offiziellen Zahlen für nichtig, dies mit Verweis auf Umfragen eines oppositionsnahen Instituts und auf die massiven Wahlmanipulationen.
Keine Mehrheit gegen die Regierungspartei
Präsidentin Salome Surabischwili, die auf Seiten der Opposition steht, schrieb zehn Minuten nach Schließung der Wahllokale auf X: "Das europäische Georgien gewinnt mit 52 %, trotz Wahlfälschungsversuchen und ohne Stimmen aus der Diaspora."
Surabischwili hatte eine "Charta für Georgien" initiiert, der sich einige Oppositionsparteien angeschlossen hatten. Ziel wäre es, eine Übergangsregierung aus Technokraten zu bilden, die zunächst Georgien wieder auf den Weg in Richtung EU bringt und dann Neuwahlen im Herbst 2025 ausruft. Allerdings war es vor der Parlamentswahl nicht mehr zu einer Einigung auf einen Premierministerkandidaten gekommen.
Und selbst, wenn es jetzt allen Oppositionsparteien gelingen würde, sich zusammenzuschließen, kämen sie im Parlament aufgrund der offiziellen Ergebnisse nur auf 37 Prozent gegenüber den 54,8 Prozent des Georgischen Traums.
Warten auf Reaktionen aus dem Westen
Entsprechend konzentrieren sich die Oppositionsparteien nun auf Protestaktionen gegen das Wahlergebnis. Gacharia sprach in einem Briefing am Sonntagmittag davon, man wolle sich "klugen Formen des Protests zuwenden, die in erster Linie darauf abzielen, die Wahl unserer Bürger zu schützen, die europäische Zukunft unseres Landes zu schützen und die Wahlinstitution als solche zu schützen".
Und die Opposition erhofft sich Unterstützung aus der EU und den USA. Sie fordert, das Ergebnis nicht anzuerkennen, während bereits Glückwünsche aus autoritär geführten Staaten von Ungarn bis Russland kommen.
Eine erste Reaktion veröffentlichte am Sonntagmorgen der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gunther Krichbaum. "Die im Raum stehenden massiven Wahlrechtsverstöße verurteilen wir aufs Schärfste. Sie müssen jetzt dringend aufgeklärt werden." Die Unionsfraktion werde "selbstverständlich" auch weiterhin die pro-europäischen Kräfte unterstützen.
Wasserwerfer bereit
Der Georgische Traum hatte bereits im Vorfeld, begleitet von gleich lautenden Äußerungen aus Russland, Szenarien westlicher Einflussnahme nach der Wahl an die Wand gemalt, die zu einer Destabilisierung des Landes führe.
Nun muss sich zeigen, wie viele Menschen die Opposition mobilisieren kann und wie hart die Regierungspartei reagieren wird. Iwanischwili und seine Mitstreiter hatten angekündigt, die "Vaterlandsverräter" und "ausländischen Agenten" vor Gericht stellen zu wollen.
Innenminister Vachtang Gomelauri hatte erklärt, man habe neue Wasserwerfer angeschafft, die effektiver seien als jene, die in den vergangenen Jahren bei Protesten eingesetzt worden seien.