EU-Gipfel Kandidaten und Wartende
Die Ukraine dürfte auf dem EU-Gipfel den Status eines Beitrittskandidaten bekommen. Doch eine schnelle Aufnahme bedeutet das nicht - das wissen die Staaten des Westbalkans nur zu gut, deren Vertreter ebenfalls nach Brüssel kommen.
Für die Präsidentin der EU-Kommission war die Sache schon wenige Tage nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine völlig klar: Das Land gehöre zu Europa, zur europäischen Familie, man wolle sie dabei haben: "Wir wollen, dass sie mit uns den europäischen Traum leben" - so formulierte es Ursula von der Leyen auf ihre Art: pathetisch. Aber offenbar zählen im Krieg große Worte und große Gesten, und inzwischen, rund vier Monate später, zweifelt in Brüssel niemand mehr daran, dass die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem heute beginnenden Gipfel grünes Licht dafür geben, dass die Ukraine den Kandidatenstatus für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bekommt.
Darauf hatte das Land in den vergangenen Wochen immer wieder gedrängt, Druck gemacht, appelliert - man brauche diesen Schritt, als moralische Unterstützung neben Waffenlieferungen und finanziellen Hilfen im Kampf gegen die russischen Truppen, aber auch, um nach einem Kriegsende eine Perspektive zu haben, hieß es aus Kiew.
Widerstand und Befürchtungen
Es hatte im Kreis der 27 EU-Staaten freilich einiges an Widerstand gegeben - vor allem die Niederlande oder Dänemark formulierten Bedenken mit Blick auf die staatlichen Strukturen oder den Zustand der Demokratie dort. Sie bemängelten Korruption und Vetternwirtschaft oder die Rechtsstaatlichkeit; auch aus Südeuropa kam Gegenwind. Dort befürchtet man, künftig viel weniger Geld aus Brüssel zu bekommen, weil die Mittel stattdessen in die Ukraine fließen könnten.
EU-Westbalkan-Gipfel debattiert über Beitrittsperspektiven
Doch letztlich zähle das angesichts des Krieges alles wenig, heißt es jetzt. Alle müssten sich bewusst machen, dass es eine "besondere Verantwortung für jedes Mitgliedsland der Europäischen Union" in diesen Tagen gebe, so die Argumentation von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, "nämlich, dass niemand von uns möchte, dass wir in ein paar Jahren zurückschauen und uns fragen: Wie konnten wir diese Weichenstellung nicht nutzen?" Dieser Haltung haben sich nun offenbar alle angeschlossen, auch weil man in Europa Einigkeit gegenüber Russland zeigen wolle, sagt der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra.
Gewaltiger Finanzbedarf absehbar
Tatsächlich allerdings kostet es in der EU auch niemanden etwas, der Ukraine jetzt den Kandidatenstatus für eine Mitgliedschaft zu geben. Finanzielle Zusagen seien damit nämlich nicht verknüpft, wird in Brüssel betont. Auch wenn es ein offenes Geheimnis ist, dass man nach einem Kriegsende ohnehin massive finanzielle Hilfen für den ukrainischen Wiederaufbau bereitstellen muss.
Woher die kommen sollen, darüber wird bereits gestritten, allerdings eher hinter verschlossenen Türen und wohl eher nicht auf diesem EU-Gipfel heute und morgen. Dafür ist die Symbolik zu groß.
Auch deshalb, weil ja nicht nur die Ukraine Beitrittskandidat werden soll, sondern auch die kleine benachbarte Republik Moldau, die sich ebenfalls massiv von Russland bedroht sieht.
Die Wartezeit kann lang werden
Dass der Kandidatenstatus das eine ist, eine Mitgliedschaft in der EU aber das andere, das zeigt ein Blick auf die Länder des westlichen Balkans: Serbien, Albanien, oder Montenegro warten zum Teil seit über zehn Jahren darauf, der EU beizutreten.
Schwierig findet das Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg. Er meint, die EU könne sich keinen "strategischen Tunnelblick leisten und auf einem Auge blind sein", denn: Sie stehe "in der Verantwortung nicht nur unseren Freunden in der Ukraine oder in Moldau gegenüber, sondern eben auch in Bosnien, in Serbien und in den sechs Staaten des Westbalkans".
Die Aufnahmekriterien sind streng
Sie alle wollen in die EU. Und sie alle werden am Ende die strengen Aufnahmekriterien erfüllen müssen, was bedeutet: Sie müssen in der Lage sein, das gesamte EU-Recht und die EU-Politik für das eigene Land zu übernehmen. Und das auch wollen.
Sonderregeln gebe es für niemanden - sagt die Kommission. Auch darüber werden die Staats- und Regierungschefs heute und morgen in Brüssel reden.