EU-Gipfel in Brüssel Bauernwut, Waffenhilfe und Erweiterungspläne
Die 27 Staats- und Regierungschefs beraten beim EU-Gipfel in Brüssel ein weiteres Mal über Erleichterungen für Landwirte und Unterstützung für die Ukraine. Kontrovers werden dürfte es bei weiteren Fragen.
Traktorenlärm und Sirenengeheul bilden seit Wochen die Begleitmusik für Treffen führender Politikerinnen und Politiker der EU in Brüssel. Auch beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs wollen Landwirte mobil machen. Dabei hat die EU-Kommission schon weitreichende Zugeständnisse angekündigt, denen die Mitgliedsstaaten noch zustimmen müssen. So will Brüssel Kontrollen für kleine Betriebe streichen und Umweltauflagen abschwächen. Die Pflicht, einen Teil der Ackerflächen zugunsten des Artenschutzes stillzulegen, soll auch in den kommenden Jahren ausgesetzt bleiben.
In Deutschland, Frankreich, Polen, den Niederlanden und Belgien haben Landwirte in den vergangenen Monaten gegen die Politik ihrer Regierungen und der EU demonstriert. Sie beklagen sinkende Einnahmen, zu viel Bürokratie und weitere Auflagen durch neue Umweltvorschriften aus Brüssel. In Deutschland gingen Bauern gegen die geplante Streichung der Steuerbefreiung beim Agrardiesel auf die Straße. In Frankreich und Polen protestieren sie gegen den Preisverfall durch Importe aus der Ukraine. In dieser Woche erst haben sich Mitgliedsstaaten und EU-Parlament darauf geeinigt, die zollfreie Einfuhr bestimmter ukrainischer Agrarprodukte zu begrenzen. Wenn von dort große Mengen Eier, Geflügel oder Zucker in die EU kommen, werden darauf wieder Zölle fällig.
Waffenhilfe aus Zinserträgen?
Wie bei praktisch allen EU-Gipfeln seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine vor gut zwei Jahren ist auch diesmal Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video zugeschaltet. Er dürfte einen dringenden Appell an die 27 EU-Staaten richten, mehr Waffen und Munition zu liefern. Der Gipfel berät darüber, wo das Geld dafür herkommen soll. Anfang der Woche haben die EU-Außenministerinnen und -minister grünes Licht gegeben, um einen Fonds abseits des EU-Haushalts um fünf Milliarden Euro aufzustocken, aus dem Waffen und Ausrüstung für die Ukraine bezahlt werden.
Außerdem will die EU-Kommission für die Militärhilfe Zinserträge abgreifen, die auf in der EU eingefrorenes Vermögen der russischen Zentralbank anfallen. Brüssel rechnet mit möglichen Einnahmen von drei Milliarden Euro jährlich. Dafür braucht es aber einen einstimmigen Beschluss der Mitgliedsstaaten. Bundeskanzler Olaf Scholz ist dafür. Die Debatte darüber dürfte beim EU-Gipfel aber erst beginnen.
Mehr Geld für Verteidigung
Die Staats- und Regierungschefs wollen grundsätzlich darüber diskutieren, wie sie angesichts der russischen Bedrohung Europas Rüstungsproduktion hochfahren und mehr Geld für Verteidigung bereitstellen können. EU-Ratspräsident Charles Michel betont in seinem Einladungsschreiben, Europa habe jahrzehntelang zu wenig in seine Sicherheit und Verteidigung investiert. Jetzt sei es höchste Zeit für radikale und konkrete Schritte.
Frankreichs Vorschlag, dafür wie während der Corona-Pandemie gemeinsame Schulden aufzunehmen, ist umstritten. Deutschland lehnt solche Pläne ab. Aber die Mitgliedsstaaten wollen Europas Förderbank stärker für die Verteidigung nutzen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterstützt schon jetzt die Entwicklung von Drohnen und den Ausbau der Grenzsicherung. Aber sie darf nur dual-use-Güter fördern, also Produkte, die zivil und militärisch genutzt werden können. Ihr Mandat schließt die Finanzierung von Waffen und Munition aus. Der Gipfel könnte die EIB auffordern, die Kriterien für dual-use-Güter zu überarbeiten, um der Verteidigungsindustrie einen besseren Zugang zu privaten und öffentlichen Finanzmitteln zu verschaffen.
Kontroversen bei Bosnien und Herzegowina ...
Vor eineinhalb Wochen hat die EU-Kommission empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen begründet das mit aus ihrer Sicht beeindruckenden Reformfortschritten. Der Länderbericht ihrer Behörde vom vergangenen November klang noch anders. Auch Deutschland, Österreich und Italien wollen den Balkanstaat näher an die EU bringen, so wie es die EU mit der Ukraine und Moldau getan hat.
Im vergangenen Dezember haben die Staats- und Regierungschefs Beitrittsgesprächen mit beiden Staaten grundsätzlich zugestimmt. Es fehlt aber noch das Verhandlungsmandat. Im Falle Bosniens melden Frankreich und die Niederlande allerdings Bedenken an. Aus Sicht von Paris ist die Zeit noch nicht reif für Beitrittsverhandlungen. Grünes Licht geben kann der Gipfel nur einstimmig.
... sowie der Debatte über Gaza
Auch mit Blick auf den Gazakrieg bleibt die EU gespalten. Einige Mitgliedsstaaten wie Spanien und Irland verlangen angesichts der vielen palästinensischen Opfer, Israel schärfer zu kritisieren. Die EU-Staaten werden mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres unter anderem über die Rolle des Palästinenser-Hilfswerks UNRWA diskutieren. Israel wirft einzelnen Mitarbeitern vor, am Hamas-Überfall Anfang Oktober beteiligt zu sein. Deutschland und andere Staaten haben deshalb ihre Zahlungen an das Hilfswerk eingestellt.
Scholz hat im Bundestag die unverbrüchliche Solidarität mit Israel bekräftigt und erklärt, Deutschland werde von seinen Prinzipien bei der Unterstützung des Landes nicht abweichen, zugleich verwies er auch Israels Premier Netanyahu gegenüber auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Möglicherweise wird der EU-Gipfel wegen der unterschiedlichen Sichtweisen wie schon im Dezember keine gemeinsame Erklärung zum Gazakrieg zustandebringen.