Zinsen für Ukraine-Hilfen EU will russisches Vermögen indirekt für Kiew nutzen
Die EU will eingefrorene russische Vermögen indirekt nutzen, um der Ukraine zu helfen. Die Zinserträge sollen Waffen, Munition und Ausrüstung finanzieren. Der Schritt war umstritten - Fachleute halten ihn für überfällig.
Die Idee klingt einleuchtend: Der Angreifer Russland soll für die Folgen des Ukraine-Krieges aufkommen. Aber die Umsetzung ist rechtlich schwierig und politisch heikel. Mehr als ein Jahr lang haben Mitgliedsstaaten und EU-Kommission diskutiert. Jetzt schlägt Brüssel vor, Zinserträge abzugreifen, die auf in der EU eingefrorenes russisches Staatsvermögen anfallen.
Insgesamt liegen in der EU rund 210 Milliarden Euro an Vermögenswerten der russischen Zentralbank auf Eis. Der Großteil des Geldes ist beim belgischen Finanzinstitut Euroclear deponiert. Dafür nimmt die Verwahrstelle nach Angaben der EU in diesem Jahr nach Abzug der belgischen Steuern bis zu drei Milliarden Euro Zinsen ein.
Diese Erträge will die Kommission fast vollständig abgreifen - abzüglich drei Prozent, die Euroclear als Bearbeitungsgebühr einbehält. Außerdem darf die Verwahrstelle vorläufig weitere zehn Prozent als Sicherheit einbehalten, etwa um Gerichtskosten zu decken. Aber der Großteil, also 87 Prozent der Zinseinnahmen, soll der Ukraine zugutekommen. In einem ersten Schritt hatte die EU Verwahrstellen wie Euroclear Mitte Februar verboten, weiter über die Zinsgewinne aus russischem Zentralbankvermögen zu verfügen oder diese Erträge an ihre Aktionäre auszuschütten.
Geld für ukrainische Waffen
Die Zinserträge sollen fast vollständig - zu 90 Prozent - in einen Fonds abseits des EU-Haushalts fließen, aus dem Waffen, Munition und Ausrüstung für die Ukraine finanziert werden. Ein kleinerer Teil soll für den Wiederaufbau des Landes verwendet werden. Falls die Mitgliedsstaaten einstimmig grünes Licht geben könnten zweimal im Jahr Zahlungen zugunsten der Ukraine fließen. Der erste Transfer könnte nach Kommissionsangaben schon im Juli erfolgen.
Die in der EU festgesetzten russischen Vermögenswerte bleiben Moskaus Eigentum. Der Kreml kommt aber nicht dran, um damit den Angriffskrieg in der Ukraine zu bezahlen. Dieses Vermögen kann die EU aus rechtlichen Gründen nicht einfach beschlagnahmen und an die Ukraine weiterleiten. Sie könnte es zwar investieren und die Gewinne einstreichen. Damit würde die EU aber auch für mögliche Verluste haften.
Anders verhält es sich aus EU-Sicht mit den Zinserträgen auf das eingefrorene Geld: Die sind laut Brüssels Überzeugung unerwartete Einnahmen und damit Eigentum der Verwahrstellen, auf die Russlands Zentralbank und der russische Staat keinen Anspruch hätten.
Das sieht der Kreml anders. Ein Sprecher in Moskau warnte, die Verantwortlichen in der EU müssten mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.
Lange rechtliche Bedenken
EU-Kommission und Mitgliedsstaaten haben über ein Jahr lang an Vorschlägen gearbeitet, um russisches Vermögen zugunsten der Ukraine zu nutzen. Im vergangenen Februar hat die schwedische EU-Ratspräsidentschaft dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte schon für den vergangenen Sommer eine entsprechende Initiative an. Denn viele EU-Regierungen verlangen, den Aggressor zur Kasse zu bitten, besonders nachdrücklich tun das osteuropäische und die baltischen Staaten.
Aber vor allem große Mitgliedsstaaten meldeten Bedenken an, darunter Deutschland. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnte davor, dass sich internationale Anleger aus Europa zurückziehen könnten, wenn die EU auf Zufallsgewinne der Verwahrer von russischem Vermögen zugreift. Mit Blick auf den aktuellen Kommissionsvorschlag erklärt ein zuständiger Beamter, seine Behörde habe sich im Vorfeld mit der EZB und den Mitgliedsstaaten abgesprochen.
Fachleute halten Schritt für gerechtfertigt
Die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hält den Kommissionsvorschlag für einen gangbaren Weg, um an die Gewinne der Verwahrstelle zu kommen, ohne deren Pflichten gegenüber ihren Aktionären zu verletzen. Bruegel-Fachmann Nicolas Véron erklärt, das sei sehr sinnvoll und unter den gegebenen Umständen die richtige Vorgehensweise. Er hält das Brüsseler Vorgehen zwar für ziemlich ungewöhnlich, aber durch die besonderen Umstände des Ukraine-Krieges gerechtfertigt.
Aus Vérons Sicht ist eine Abgabe auf die Zinserträge - anders als ein möglicher Zugriff auf das eingefrorene russische Vermögen - angemessen. Der Schritt hätte nach Überzeugung des Experten allerdings früher kommen können.