EU-Gipfel berät über Ukraine Alle gegen einen - einer gegen alle
Ungarns Regierungschef Orban lehnt weitere Hilfen für die Ukraine ebenso ab wie Beitrittsverhandlungen. Auf dem EU-Gipfel versuchen alle anderen Staats- und Regierungschefs, ihn zum Einlenken zu bewegen - bislang vergeblich.
Beim EU-Gipfel in Brüssel versuchen 26 Mitgliedsländer, Druck auf Ungarns Regierungschef Viktor Orban zu machen: Er soll sein Veto gegen weitere Ukraine-Hilfen und Beitrittsverhandlungen aufheben. Der als Russland-nah geltende Orban sagte jedoch, bei den Hilfen für Kiew gebe es keine Eile. Er zeigte sich allenfalls bereit, Gelder außerhalb des EU-Haushalts bereitzustellen - was Ungarn dann zu nichts verpflichten würde. Die anderen 26 Mitgliedsländer lehnen dies ab, weil die EU dann keine geschlossene Haltung mehr gegenüber Russland hätte.
Auch dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Beitrittsverhandlungen erteilte Orban eine Absage: "Es gibt keinen Grund, irgendwas zu diskutieren, denn die Bedingungen sind nicht erfüllt", betonte er. Dem widersprach Europaparlaments-Präsidentin Roberta Metsola: Es gehe nicht um "ein Schnellverfahren" für Kiew, sagte sie nach einer Debatte mit den Staats- und Regierungschefs.
Selenskyj warnt vor Scheitern des Gipfels
Selenskyj appellierte an die EU, zu ihren Versprechen zu stehen. "Jetzt ist nicht die Zeit für halbe Sachen", sagte er bei einer Videoschalte mit den Staats- und Regierungschefs. Bei einem Scheitern des Gipfels werde Russlands Präsident Wladimir Putin dies mit einem "zufriedenen Lächeln" quittieren.
Bei dem zweitägigen Treffen geht es um ein Hilfspaket von 50 Milliarden Euro, das die Ukraine vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch bewahren soll. Zudem ist der Startschuss für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und dem Nachbarland Moldau geplant.
Mehrere Staats- und Regierungschefs versuchten vor dem EU-Gipfel, Orban im kleinen Kreis zum Einlenken zu bewegen - bislang ohne Erfolg.
Viele verärgert über Orban
Viele EU-Staats- und Regierungschefs äußerten sich verärgert über Orban. "Wenn die Ukraine nicht von der EU und den USA unterstützt wird, wird Putin gewinnen", sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas hoffte zumindest auf Teilzugeständnisse Ungarns.
"Wir befinden uns nicht auf einem ungarischen Basar, auf dem wir eine Sache gegen eine andere austauschen können", kritisierte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo. "Die Ukraine ist ein Land, das die demokratischen Werte respektieren will ... Vielleicht eine Lektion für Orban selbst", fügte er in Anspielung auf die von der EU-Kommission kritisierten Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit in dem osteuropäischen EU-Land hinzu.
Ohne Einstimmigkeit keine Beschlüsse möglich
Die Beschlüsse zugunsten der Ukraine erfordern Einstimmigkeit, Orban hat damit ein Vetorecht. Es ergebe sich leider das Bild von 26 Mitgliedsstaaten gegen einen einzelnen, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. "Aber wir sitzen nicht hier, um Orban etwas anzubieten." Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson nannte es "einfach nicht fair", die Bemühungen der Ukraine für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu ignorieren. "Wenn einige nicht zuhören, wird es richtig kompliziert", sagte Litauens Präsident Gitanas Nauseda über Orban.
Scholz ruft zur Einigung auf
Bundeskanzler Olaf Scholz unterstützt die Ukraine-Hilfen und rief alle Gipfelteilnehmer zur Einigung auf. Er hatte gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Vorfeld des Gipfels im kleinen Kreis mit Orban eine Lösung gesucht. Ein Kompromiss zeichnete sich bislang jedoch nicht ab.
Die EU-Kommission hatte kurz vor Gipfelbeginn zehn Milliarden Euro für Ungarn freigegeben, die im Streit um eine nun verabschiedete Justizreform eingefroren waren. An der Entscheidung gab es scharfe Kritik. Die Kommission habe ein gigantisches "Bestechungsgeld" gezahlt, um Orban zum Einlenken zu bewegen, empörten sich Europaparlamentarier. Orban selbst betonte, er sehe gar keinen Zusammenhang zwischen den zehn Milliarden Euro und den Ukraine-Themen.
Weitere Themen: Zukunftstechnologien und Migration
Der EU-Gipfel will zudem eine Lösung im festgefahrenen Streit um weitere Milliarden für die Migration und Zukunftstechnologien suchen. Im letzten Entwurf für den EU-Haushaltsrahmen bis 2027 standen noch insgesamt 9,6 Milliarden Euro zusätzlich etwa für den Außengrenzschutz und Migrationspartnerschaften mit Drittländern.
Scholz kritisierte erneut, es könne "in Europa nicht darum gehen, sehr große zusätzliche Ausgaben zu beschließen", sagte der Kanzler und verwies auf den deutschen Haushaltskompromiss vom Mittwoch. Portugals Regierungschef Antonio Costa sagte dagegen, er hoffe nach der Einigung in Berlin auf eine "offenere Haltung Deutschlands".