Schutz vor sexualisierter Gewalt Kommt die "Chatkontrolle" in der EU?
Die EU unternimmt einen neuen Versuch, IT-Konzerne zur strengeren Kontrolle von Nutzern zu verpflichten. Ziel ist der bessere Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Aus Deutschland kommen kritische Stimmen.
Es ist wieder Bewegung gekommen in ein Gesetz zum Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Schon seit mehr als zwei Jahren liegt es als Vorschlag auf dem Tisch.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärt: "Es ist dazu da, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen. Es ist dazu da, die Opfer dieser schrecklichen Verbrechen davor zu schützen, sie immer wieder im Internet durchleben zu müssen."
In einem Jahr verzehnfacht
Drei von fünf weltweit bekannten Darstellungen sexualisierter Gewalt liegen auf einem Server in einem EU-Staat, zeigen die Daten der Stiftung Internet Watch Foundation. In Deutschland hat sich das Volumen demnach zuletzt binnen eines Jahres verzehnfacht.
Das vorgeschlagene EU-Gesetz bezweckt im Kern, dass Google, Meta und Co. verpflichtet werden können, sämtliche Inhalte auf ihren Plattformen nach Missbrauchsbildern technisch zu durchleuchten. Daher ist das Vorhaben auch als "Chatkontrolle" bekannt geworden, vor allem in Deutschland.
Deutschland lehnt das Gesetz ab
Die Bundesrepublik lehnt das EU-Gesetz weiter ab, machte FDP-Justizminister Marco Buschmann deutlich: "Deutschland ist ein Land, das schon zwei Mal Diktaturen erlebt hatte, die keinerlei Rücksicht auf Privatsphäre genommen haben. Deshalb sind wir dort besonders sensibel und werden sehr darauf achten, dass die Privatsphäre, insbesondere die private Kommunikation, weiterhin geschützt bleibt."
Der Zweck heilige die Mittel - so wiederum sehen es wohl viele andere Staaten. Ein neuer Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft könnte zur nötigen Mehrheit unter den 27 Mitgliedstaaten führen - auch ohne Deutschland.
Audio-Nachrichten ausgenommen
In der aktuellen Version des Gesetzentwurfs gibt es einige Neuerungen: Wenn die Plattformen verpflichtet werden, alle Inhalte automatisch zu scannen, auch Chats mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, dann sollen nun Sprachnachrichten ausgenommen werden. Gescannt würden also ausschließlich Bilder und Videos.
Außerdem müssten Nutzerinnen und Nutzer der automatisierten Durchleuchtung erst zustimmen. Tun sie das nicht, könnten sie keine Bilder und Videos mehr auf der jeweiligen Plattform verschicken.
Einige Anbieter drohen mit Abschied: Allen voran die Betreiber der Nachrichtendienste Signal und Threema haben angekündigt, ihre Dienste in der EU einzustellen, sollten sie verpflichtet werden, verschlüsselte Nachrichten zu scannen.
"Gesetz mit Grundrechten unvereinbar"
Für die Kritikerinnen und Kritiker des Gesetzesvorhabens geht es grundsätzlich in die falsche Richtung. Zuletzt haben 36 Politikerinnen und Politiker - vor allem von FDP und Grünen - in einem offenen Brief an die EU-Mitgliedstaaten appelliert, gegen das Gesetz zu stimmen. Es sei mit den europäischen Grundrechten unvereinbar.
Generell, so ein weiteres Argument, seien viele der geplanten Maßnahmen nicht zielgenau und führten zu falschen Verdächtigungen. Stattdessen würden mehr Ressourcen und eine bessere Koordination der Strafverfolgungsbehörden in Europa benötigt.
"Geht nicht an die Wurzel des Übels"
Alles schön und gut, sagt Sebastian Fiedler, SPD-Innenpolitiker und Polizeibeamter. Das gehe aber nicht an die Wurzel des Übels. "Ich habe noch nicht einen einzigen vernünftigen anderen Vorschlag gehört, wie man dieses pandemische Ausmaß an sexualisierter Gewalt an Kindern in den Griff kriegen will", sagt Fiedler.
Er sei der Meinung, es dürften gar keine Handys in Umlauf sein, die es überhaupt ermöglichen, mit "solchem Material umgehen zu können, es also zu öffnen, zu bearbeiten oder zu versenden". Dies sei, soweit er wisse, technisch möglich.
Das wiederum geht deutlich über die Brüsseler Vorschläge hinaus. Selbst wenn diese heute die Zustimmung im Rat bekommen sollten - noch haben sie wohl einen etwas längeren Weg vor sich.