Estnische Soldaten bei einer Winterübung bei Tapa (Estland)
Weltspiegel

Estland Das Misstrauen gegenüber Russland bleibt

Stand: 19.02.2023 12:11 Uhr

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine fürchten viele Esten, dass auch ihre Freiheit in Gefahr ist. Estland unterstützt die Ukraine und trifft selbst Vorsorge. Nicht immer zur Freude der Bevölkerung.

Auf dem Weg in den Süden Estlands begegnen einem immer wieder Soldaten. Am Straßenrand marschiert eine kleine Gruppe mit Gewehren und Panzerfäusten. Sie sind auf dem Weg zu einem Militärübungsplatz. Von Voru, einer kleinen Stadt im Süden des Landes, sind es nur noch 40 Minuten Fahrt bis zur russischen Grenze. 

Die Gegend ist eine Urlaubsregion. Naturbelassene Wälder und Seen. Ein friedliches Idyll. Doch die Ruhe täuscht. 

Estlands Misstrauen gegenüber Russland bleibt

Christian Blenker, ARD Stockholm, Weltspiegel

Militärübungen - ein Stück Alltag

Eda Veeroja betreibt mit ihrem Mann seit vielen Jahren eine traditionsreiche Rauchsauna in den abgelegenen Wäldern. Eine kleine Holzhütte ohne Schornstein. Das Holzfeuer muss viele Stunden vor dem Schwitzen entfacht werden.

Eigentlich ein Ort der Besinnung. Doch seit Monaten trainiert unweit ihrer Sauna das estnische Militär mit schwerem Gerät, erzählt die Estin, die von den Saunagästen lebt. "Der Übungsplatz ist zwar ein Stück entfernt, aber wenn sie mit den Kanonen schießen, hörst Du das und spürst die Erschütterungen."

9000 Hektar für Estlands Militär

Von der Sauna bis zum Sperrgebiet ist es nicht weit. Tief im Wald betrieben die Sowjets einst eine Raketenabschussanlage. Dann kam Estlands Unabhängigkeit. Jetzt machen hier das estnische Militär und Soldaten aus NATO-Partnerländern ihre Manöver.

Die Regierung will den versteckten Übungsplatz auf 9000 Hektar mehr als verdreifachen. Kaido Parv hat hier sein Traumhaus gebaut. Er versteht, dass Estland in dieser Zeit mehr militärische Präsenz zeigen will. Allerdings ärgert es ihn, dass der riesige Truppenübungsplatz künftig direkt an seinem Grundstück grenzen soll:

Das erdrückt mich im wahrsten Sinne des Wortes. Es macht mich richtig wütend. Ich verstehe, dass Soldaten irgendwo rumschießen müssen, aber ich denke, wir haben heute schon genug Übungsflächen!
Estnische Soldaten üben mit üben sie mit US-amerikanischen Panzerlenkwaffen.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bereiten sich estnische Soldaten zusammen mit ihren NATO-Partnern mit zahlreichen Militärübungen auf einen Angriff des Nachbarlandes vor - hier üben sie mit US-amerikanischen Panzerabwehrlenkwaffen.

Erheblicher Anstieg der Verteidigungsausgaben

Der Krieg in der Ukraine hinterlässt in Estland Spuren. Der russische Angriff sei eine direkte Gefahr für die Sicherheit hier. Unterwegs im Baltikum hört man das immer wieder.

Estlands Militäretat ist auf über eine Milliarde Euro gestiegen. Und zeitgleich liefert das Land Haubitzen, Munition und Ausrüstung an die Ukraine. 

Rainer Saks war viele Jahre Estlands Geheimdienstchef. Jetzt berät er Unternehmen, wie sie sich vor Cyberangriffen schützen können. Einen Angriff Russlands auf das Baltikum hält er derzeit für nicht wahrscheinlich. Aber er sieht eine andere Gefahr:

Russland arbeitet daran, die Koalition des Westens zu zerstören. Um das zu erreichen, haben sie unterschiedliche Desinformationskampagnen gestartet. Das ist etwas, dem wir begegnen müssen.

Vertrauen auf die NATO

Trotzdem hält Saks es für wichtig, dass Estland weiter in sein Militär investiert. Seit 2004 gehören die drei baltischen Staaten zur NATO. Der Schutz des Verteidigungsbündnisses zahle sich jetzt aus. 

Russland sieht, dass die NATO zuverlässig ist und funktioniert. Sie werden keine groß angelegte militärische Operation gegen ein NATO-Land starten. Aber natürlich kann sich die Situation in Zukunft ändern."
 

Auch deshalb müsse Estlands Militär Präsenz zeigen in den Wäldern von Voru.

Die Ausdauer der Esten

In der Rauchsauna von Eda Veeroja ist die Temperatur nach sechs Stunden Holzfeuer genau richtig. Bei etwa 90 Grad wollen sie mit Lindenzweigen Verspannungen lösen. "Ich hoffe, dass die Menschen doch noch zu Verstand kommen. Wenn wir den Frieden in uns haben, gibt es auch Frieden um uns herum." 

Die Esten hätten Ausdauer, nicht nur auf der Saunabank, sagt sie. Man werde sich schon irgendwie arrangieren können, wenn bald noch mehr Soldaten in den Süden Estlands kommen.  

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Weltspiegel um 18.30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 19. Februar 2023 um 18:30 Uhr.