Konflikt im Südkaukasus Tausende Armenier fliehen aus Bergkarabach
Der Flüchtlingsstrom aus Bergkarabach nach Armenien wächst weiter an. Zu Tausenden verlassen die Menschen die Region, um sich vor Aserbaidschan in Sicherheit zu bringen. Armeniens Regierung sucht nach Wegen, sie unterzubringen
Nach der Eroberung des Gebietes Bergkarabach durch Aserbaidschan wächst die Zahl jener Menschen, die aus der Region im Kaukasus nach Armenien flüchten, schnell. Bis zum Mittag seien bereits 6.650 Flüchtlinge registriert worden, teilte die armenische Regierung auf Facebook mit. Am Abend zuvor waren es noch etwa 1.000 Menschen.
Viele Flüchtlinge in Stepanakert
Die Regierung versprach allen Bedürftigen, sie mit entsprechendem Wohnraum zu versorgen. Der Bedarf von knapp 4.000 Flüchtlingen sei bereits festgestellt worden, die Daten der übrigen würden noch geprüft, hieß es. Regierungschef Nikol Paschinjan hatte schon zuvor einen wachsenden Strom an Flüchtlingen vorausgesagt. Dieser wird seinen Angaben zufolge durch ethnische Säuberungen Aserbaidschans in Bergkarabach provoziert.
In Bergkarabachs Hauptstadt Stepanakert werden unterdessen Lebensmittel und Medikamente zunehmend knapper. Denn dort ist nicht nur die einzige Versorgungsstraße seit Monaten von Aserbaidschan blockiert. Seit den Angriffen am Wochenende drängen dort immer mehr Menschen in die Stadt. Die politische Führung der Region versprach, Familien, "die nach der jüngsten Militäroperation obdachlos sind und die aus der Republik ausreisen wollen", nach Armenien zu bringen. Dies werde in Begleitung russischer Truppen in der Region geschehen.
Erdogan nennt Eroberung "historischen Erfolg"
Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev versicherte, dass es keine ethnischen Verfolgungen der Armenier geben werde. Bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Recep Erdogan erklärte er, dass alle Bewohner Bergkarabachs ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit Aserbaidschaner seien, deren Sicherheit vom aserbaidschanischen Staat gewährleistet werde. Mit der Unterstützung der Türkei leite man die regionalen Entwicklungen in die richtige Richtung, sagte Aliyev.
Erdogan gratulierte Aliyev zu der Eroberung Bergkarabachs. Der aserbaidschanischen Armee sei ein "historischer Erfolg" gelungen, sagte Erdogan laut Medienberichten. Dass sich Erdogan und Aliyev für ihr Gespräch in der aserbaidschanischen autonomen Exklave Nachitschewan trafen, lenkte die Aufmerksamkeit auf ein weiteres Territorium, das zwischen Aserbaidschan und Armenien für Verstimmungen sorgt.
Die autonome Teilrepublik im Südosten Armeniens ist vom Rest Aserbaidschans weitestgehend abgeschnitten. Die Regierung in Baku macht zunehmend Druck, um einen Korridor in die Region zu schaffen. Erdogan sagte in Nachitschewan, das auch an die Türkei grenzt, er freue sich "sehr, mit Ihnen allen zusammen zu sein, wenn wir Nachitschewan mit der türkischen Welt verbinden". Armeniens Regierung bezeichnete solche Pläne bereits vergangene Woche als "inakzeptabel".
Vorerst keine Ergebnisse auf Treffen erzielt
Die Armee Aserbaidschans hatte vergangene Woche mit einer Militäroffensive die vollständige Kontrolle in Bergkarabach übernommen. Die Verteidiger der international nicht anerkannten Republik im Südkaukasus streckten daraufhin die Waffen und gaben die Auflösung ihrer Einheiten bekannt.
Bergkarabach wird mehrheitlich von Armeniern bewohnt, liegt aber auf Staatsgebiet Aserbaidschans. Die Türkei ist enger Verbündeter der Regierung in Baku, die das Gebiet wieder eingliedern will. Die Karabach-Armenier befürchten eine Vertreibung oder nach Jahrzehnten des Konflikts die Rache des autoritär geführten Aserbaidschans.
Vertreter Bergkarabachs und Aserbaidschans trafen sich heute in Xocali (deutsch: Chodschali) unter Vermittlung der Russen ein zweites Mal. Das erste Treffen endete vor wenigen Tagen in der aserbaidschanischen Stadt Yevlax ohne greifbares Ergebnis. Über die Resultate des neuen Treffens ist noch nichts bekannt.
Gespräch in Granada angesetzt
Aserbaidschans Präsident Aliyev und Armeniens Regierungschef Paschinjan sollen am 5. Oktober im Rahmen des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im spanischen Granada für Gespräche zusammenkommen. Bereits morgen sollen sich deshalb Vertreter Armeniens, Aserbaidschans, Deutschlands, Frankreichs und der EU in Brüssel treffen, berichtete die armenische Nachrichtenagentur Armenpress unter Berufung auf Armeniens Regierung.