EU legt Paket vor Was die EU gegen Medikamentenmangel plant
Antibiotika und Fiebersäfte sind Mangelware in der EU: Dagegen soll nun etwas unternommen werden. EU-Gesundheitskommissarin Kyriakides hat Maßnahmen vorgestellt.
Leere Apotheken-Regale, wo zuvor Antibiotika und Fiebersäfte für Kinder standen. Dazu ein grundlegender Mangel bei Medikamenten gegen Depressionen sowie mancher wichtiger Arznei für Krebs- und Herzerkrankungen. Probleme, die sich jahrelang aufgebaut haben und im vergangenen Jahr einen Höhepunkt erreichten: Allein in Deutschland wurden knapp 700 Medikamenten-Engpässe gemeldet.
In diesem Jahr dürften es wohl noch mehr werden, so die Prognose von Peter Liese, dem gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament: "Wir hatten schon zur Mitte des Jahres, konkret Mitte Juni, 480 Meldungen über Lieferengpässe. Also kann man davon ausgehen, dass es dieses Jahr insgesamt noch einmal mehr Probleme geben wird als letztes Jahr."
Freiwilliger Solidaritätsmechanismus
Einige der neuen EU-Maßnahmen sollen daher auch bereits in diesem Winter wirksam werden - so die Vorstellung der Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Sie will Antibiotika und Medikamente gegen Atemwegsviren in diesem Winter EU-weit gemeinsam beschaffen.
Sie setzt auf einen freiwilligen Solidaritätsmechanismus für Arzneimittel: "Dies wird es jedem Mitgliedsstaat, der mit Engpässen konfrontiert ist, ermöglichen, Unterstützung von anderen Mitgliedsstaaten zu suchen, die möglicherweise in der Lage sind, Medikamente zu teilen, wenn sie über einen ausreichenden Vorrat verfügen."
Packungsbeilage in anderer Sprache?
Damit die Länder davon profitieren können, sollen regulatorische Hürden gesenkt werden. Dies kann heißen, dass die Packungsbeilage nicht zwingend in der jeweiligen Landessprache verfügbar ist. Oder das in geeigneten Fällen das Haltbarkeitsdatum verlängert wird. Ein Aktionsplan soll den Mitgliedsländern ab 2024 dazu konkrete gemeinsam Vorschläge machen.
Dass sich dies lohnt, habe die Zeit der Pandemie gezeigt: "Beim Umgang mit der Covid-Pandemie, bei der gemeinsamen Impfstoff-Beschaffung und auch beim Umgang mit den Affenpocken haben wir zuletzt gesehen, wie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mehr Transparenz zu Veränderungen und zu Erleichterung bei allen führen kann", so Kyriakides.
Bis zu 350 Medikamente überwachen
Ebenso wird auf EU-Ebene mit Hochdruck an einer "Liste der kritischen Arzneimittel" geschrieben. Bis Jahresende sollen darauf bis zu 350 Medikamente stehen. Die Europäische Arzneimittelbehörde soll deren Lieferketten und Verfügbarkeiten dann besonders kritisch analysieren und überwachen.
Auf dieser Grundlage könne dann ab 2024 mit den EU-Staaten eine industriepolitische Strategie gegen den Medikamentenmangel entstehen, so Kyriakides: "Um die Produktion kritischer Arzneimittel gemeinsam zu fördern und zu modernisieren, beabsichtigten wir eine 'Allianz für kritische Arzneimittel' einzurichten. Sie soll Leitlinien ausarbeiten, um die Medikamentenversorgung in der EU auf lange Sicht zu sichern."
Schnellere Genehmigung
Entscheidend dabei: Die Produktion in Europa müsse sich für die Pharmaindustrie wieder lohnen. Es brauche sehr dringend, so CDU-Gesundheitspolitiker Liese, eine europäische Leitlinie für die Medikamentenausschreibung: "Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten Klarheit haben, wenn sie sagen 'Produktion in Europa' und 'Zuverlässigkeit in der Lieferkette' - solche Kriterien müssen eine Rolle spielen und dürfen. Es darf nicht nur der Preis sein."
Auch das Tempo ist entscheidend: Der Umbau des BioNTech-Werks in Marburg für die Corona-Impfstoff-Produktion habe damals rund acht Monate gedauert. Unter normalen Umständen dauere der Aufbau eines Pharma-Werks bis zu fünf Jahren, so Liese. Schnellere Genehmigungsverfahren seien also auch hier die stärkste Medizin gegen langfristigen Medikamentenmangel in Europa.