Gipfeltreffen in Chile Bedeutung Lateinamerikas für Deutschland wächst
Wirtschaftlich ist Lateinamerika ein wichtiger Partner Deutschlands. Doch politisch hinken die Beziehungen der Bundesregierung mit dem Kontinent noch hinterher. Außenminister Westerwelle hat das erkannt. Auch deshalb zeigt Kanzlerin Merkel auf dem Lateinamerika-Gipfel in Chile Präsenz.
Von Julio Segador, ARD-Hörfunkstudio Buenos Aires
Wenn Außenminister Guido Westerwelle über Lateinamerika und die aufstrebenden Staaten des Kontinentes spricht, greift er schon mal zu ungewöhnlichen Begriffen. Da geht es um globale Gestaltungsmächte, um wichtige strategische Partnerschaften, um atemberaubende Erfolgsgeschichten, um aufstrebende Sterne.
Kaum zu glauben, dass Deutschlands Außenminister über Staaten redet, die noch vor zwei Jahrzehnten geprägt waren von Diktatur, Hyperinflation und Massenarmut. Doch die Zeiten ändern sich und Guido Westerwelle hat das Gefühl, dass Deutschland und Europa einiges verpasst haben.
"Ich bin der Überzeugung, dass der lateinamerikanische Kontinent in Deutschland - und ich möchte sogar sagen in Mitteleuropa - ein eher politisch unterschätzter Kontinent ist", sagte Westerwelle im Vorfeld des EU-Lateinamerika-Gipfels. Genau das müsse im gegenseitigen Interesse geändert werden.
600 Milliarden Euro investiert Europa jährlich
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit ist Westerwelle nach Lateinamerika gereist. Schon früh hat er klargemacht, dass der Kontinent mehr in den Mittelpunkt der bundesdeutschen Außenpolitik rücken muss.
Was die Wirtschaft im übrigen schon vorgemacht hat: 600 Milliarden Euro investieren europäische Unternehmen pro Jahr in Lateinamerika. Das ist mehr als die entsprechende Investitionssumme für Russland, China und Indien zusammen.
Politisch sieht es da anders aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte seit ihrem Amtsantritt nur 2008 eine ausgedehnte Lateinamerikareise. Nach Asien zog es sie deutlich häufiger.
Das muss sich auch Bernhard Rapkay von seinen Eurolat-Kollegen anhören. Der Westfale Rapkay ist sozialdemokratischer Abgeordneter im Europaparlament und Mitglied von Eurolat, der gemeinsamen Kommission von EU-Parlamentariern und Abgeordneten aus Lateinamerika. "Ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten besonders um Lateinamerika bemüht haben", sagt Rapkay.
Die Europäer hätten es eher nach dem Motto gehalten: "Die sind ohnehin auf uns ausgerichtet, da brauchen wir nicht viel zu tun." Als größte europäische Volkswirtschaft habe die Bundesrepublik da eine besondere Verantwortung, so Rapkay. Deutschland müsse zeigen: "Wir als Europa erkennen an, dass in Lateinamerika was läuft."
Deutschland will verlorenes Terrain zurückerobern
Mit seinem Lateinamerikakonzept, das Westerwelle Mitte 2010 vorgestellt hat, hofft der Außenminister, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Eine enge Zusammenarbeit beim Umwelt- und Klimaschutz, bei der Kriminalitätsbekämpfung sowie die Vernetzung von Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur soll dem wachsenden wirtschaftlichen aber auch politischen Gewicht des Kontinents Rechnung tragen.
"Dass bei G20, also den 20 stärksten Wirtschaftsmächten der Welt, drei lateinamerikanische Länder mit am Tisch sitzen, Brasilien, Argentinien und Mexiko, das sagt ja auch eine Menge aus", so Westerwelle.
Aber auch dahinter habe sich bereits eine Reihe weiterer erfolgreicher Nationen auf den Weg gemacht wie beispielsweise Chile oder Kolumbien. "Das zeigt, dass wir noch nicht am Ende der Entwicklung Lateinamerikas sind, sondern das hat gerade erst begonnen."
Der Anfang dieser neuen Qualität der deutsch-lateinamerikanischen Beziehungen, die sich Westerwelle erhofft, soll ab Mai in Brasilien zu sehen sein. Dann beginnt dort das Deutschlandjahr, in dem sich die Bundesrepublik ein Jahr lang den Menschen im Land als Kulturnation präsentiert.