EU-Lateinamerika-Gipfel Vom armen Bruder zum umworbenen Partner
Lange galten sie als arme Brüder und Bittsteller: die Länder Lateinamerikas. Doch inzwischen hat sich die Lage verändert. Sie gehören zu den Wachstumsmotoren der Welt, für die EU sind sie ein wichtiger Absatzmarkt. Beim EU-Lateinamerika-Gipfel wird deutlich: Heute ist eher die EU der Bittsteller.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
In den Sonntagsreden ist alles klar: "Lateinamerika ist ein sehr wichtiger politischer, kultureller und wirtschaftlicher Partner", sagt Christian Leffler, im Europäischen Diplomatischen Dienst zuständig für Amerika. Soweit die Theorie.
In der Praxis haben die Europäer die Beziehungen zu dem Subkontinent eher schleifen lassen, beklagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok: "Ja ich glaube, es ist das Bewusstsein nicht vorhanden, dass das so wichtig ist, das lief so mit und war fast ein Automatismus." Angesichts der sich dramatisch verändernden Weltlage und des stärker werdenden Auftritts der asiatischen Nationen auf der Weltbühne hält Brok das für einen kapitalen Fehler.
Dies erst recht, da sich Lateinamerika als Verbündeter geradezu anbietet: "Weil es eine Region ist", so der Schwede Leffler, "mit der uns eine lange gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Vorstellung von Gesellschaft und Demokratie verbindet." Dennoch blickten die Europäer lange eher herablassend auf ihre früheren Kolonien. Es waren die armen Brüder, in der Position des Bittstellers.
Aber seit einigen Jahren kehrt sich das Kräfteverhältnis um. Lateinamerika boomt. Während Europa in der Krise versank, verzeichnen lateinamerikanische Länder Wachstumsraten von vier und mehr Prozent, dazu haben sie stabile Staatsfinanzen. Davon können die Europäer nur träumen. Brasilien, Mexiko und Argentinien spielen als G-20-Mitglieder mittlerweile weltpolitisch in der ersten Liga.
Europa in der Rolle des Bittstellers
Da ist es kein Wunder, dass die Lateinamerikaner vor Selbstbewusstsein nur so strotzen. Chiles Präsident Sebastián Pinera, Gastgeber des europäisch-lateinamerikanischen Gipfels, nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund. Bei seinem Vorbereitungsbesuch Ende 2012 in Brüssel forderte er, dass die Beziehungen mit der EU auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden. Das heißt: eine Partnerschaft auf Augenhöhe, mindestens.
Wenn er sich das Auftreten Brasiliens in der Eurokrise ansehe, meint Brok, der Chefaußenpolitiker des EU-Parlaments, dann habe er fast den Eindruck, dass die nun eher die Europäer in der Rolle des Bittstellers sehen. Die Europäer brauchen derzeit die Lateinamerikaner als Anker in der Krise möglicherweise mehr als umgekehrt.
Rücksicht auf die Befindlichkeiten in Lateinamerika
Leffler, der auf europäischer Seite den Gipfel in Santiago vorbereitet hat, drückt das diplomatisch verklausuliert so aus: "Die sehr beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung in fast allen Ländern des Subkontinents führt dazu, dass trotz der Krise die europäischen Investitionen dort sogar gestiegen sind. Lateinamerika ist also eine wichtige Stütze für die Europäer, um aus der Krise herauszukommen."
Das hat natürlich Konsequenzen für die gegenseitigen Beziehungen. "Unsere Partner sind stärker, selbstbewusster und reicher geworden. Das macht die Beziehungen ausgeglichener. Aber das nutzt beiden Seiten."
Europa müsse jetzt, so Brok, mehr Rücksicht auf die Befindlichkeiten der lateinamerikanischen Partner nehmen: "Das sind stolze Menschen, stolze Staaten. Man muss klar machen, dass man nicht den Vormund spielen will, sondern dass das auf der Ebene der Gleichberechtigung ist." Der Ton macht halt die Musik.