Referendum in der Türkei Erdogan bringt die EU ins Schwitzen
Das Referendum in der Türkei ist auch für die Europäer hochproblematisch - egal, wie es ausgeht. Sie werden eine schwierige Entscheidung treffen müssen, wie sie mit dem Schlüsselland Türkei weiter umgehen wollen.
Ob die Türkinnen und Türken Präsident Recep Tayyip Erdogan den Machtausbau erlauben oder nicht, bedeutet für die EU durchaus einen erheblichen Unterschied. Beide Fälle allerdings könnten die Europäer in eine durchaus verzwickte Lage versetzen: Denn auch wenn die Bevölkerung zu der geplanten Verfassungsänderung "Nein" sagt, heißt es ja nicht, dass politisch am Bosporus Ruhe einkehren muss.
Im Gegenteil: Josef Janning vom European Council on Foreign Relations fürchtet, dass sich die Situation dann noch zuspitzen könnte - die Strategie des Umbaus des Staates stehe dann auf dem Spiel. "Das wird Erdogan nicht gefallen. Es kann sein, dass dann die innenpolitische Lage weiter eskaliert wird, um so viel Verunsicherung und Angst zu schaffen, dass die Menschen bereit sind, um des Friedens willen alles mitzumachen“, meint er.
Mehr Druck bei einem "Ja"
Holt sich Erdogan dagegen beim Wahlvolk die Erlaubnis für seinen Machtzuwachs ab, wächst sogleich auch der Druck auf die EU. Erwartet wird dann ein klares Bekenntnis dazu, ob eine Türkei mit einem dann noch stärkeren Mann an der Staatsspitze überhaupt noch eine Chance auf einen Beitritt zur Union hat.
Die Union solle die Beitrittsgespräche dann trotzdem nicht beenden, sagt Janning: "Es gibt nach wie vor die Chance, so wie die Türkei sich ja auch über die Jahre näher an die EU heranbewegt hat, dass sie dieses in Zukunft auch wieder mal tut. Für die Europäische Union ist es wichtiger, diese Möglichkeit der Türkei offen zu halten."
Das EU-Parlament dagegen wünscht sich schon seit längerem, den Beitrittsgesprächen eine Pause zu verordnen. Diese Forderung wird nach einem "Ja" nicht leiser werden.
"So viel Macht in den Händen einer Person"
Entscheidend aber wird am Ende sein: Wie verhalten sich die EU-Einzelstaaten? Nicht unerheblich bei der Beantwortung dieser Frage: Die EU orientiert sich bei kniffligen Verfassungsproblemen gerne am Urteil der "Venedig-Kommission" - eines Rechtsexpertengremiums, das weltweit höchstes Ansehen genießt.
Diese Kommission warnt unzweideutig vor einem Abgleiten der Türkei in eine "Ein-Mann-Herrschaft": "Es ist sehr problematisch, wenn sich so viel Macht in den Händen einer Person konzentriert und es de facto niemanden gibt, der Kontrolle ausüben kann", sagt der Leiter des Sekretariats der Venedig-Kommission, Thomas Markert, im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel.
Er lässt auch das Argument nicht gelten, andere Staaten wie die USA hätten schließlich auch einen starken Präsidenten. In der Türkei könnte Erdogan, sollte er sich mit seinen Plänen durchsetzen, praktisch uneingeschränkt regieren, meint Markert: "Er kann Minister und Vizepräsidenten ernennen nach Belieben. Es gibt keine wirkliche parlamentarische Kontrolle dessen, was er macht." Auch die Justiz falle als Kontrollorgan weitgehend aus.
In der EU weiß man sehr genau, wie man bei der von ihr geschätzten "Venedig-Kommission" die Dinge sieht. Sollte Erdogan also Erfolg haben, stehen ihr schwierige Entscheidungen bevor: Die Türkei spielt im Syrien-Krieg und auch in der Flüchtlingkrise eine Schlüsselrolle. Sie wird also als Partner weiter gebraucht. Die Beitrittsgespräche allerdings dürfte ein "Ja" ins Koma versetzen.