EU und Türkei Wie weiter?
Wie soll die EU mit der Türkei umgehen? Mitgefühl nach dem Anschlag in Istanbul ist selbstverständlich. Und sonst? Immer mehr EU-Mitglieder wollen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis legen. Doch was wären die Konsequenzen?
In einer Hinsicht zumindest sind die EU-Staaten sich ohne Zweifel einig: In der Verurteilung der blutigen Anschläge von Istanbul am Wochenende. Auch einem der derzeit schärfsten Türkei-Kritiker unter den Außenministern, dem Österreicher Sebastian Kurz, war es ein Anliegen, klarzustellen: "Aus meiner Sicht darf es keine Neutralität gegenüber dem Terror geben, auch nicht dem der PKK. Weil ich weiß, dass es auch einige in Europa gibt, die mit der PKK sympathisieren, möchte ich deutlich sagen: Die Organisation steht auf der EU-Terrorliste und es gibt absolut keine Rechtfertigung, wenn politische Ziele mit den Mitteln des Terrorismus verfolgt werden."
"Europa muss reagieren"
Doch jenseits der einhelligen Solidaritätsbekundungen in Richtung Türkei hören die Gemeinsamkeiten in der EU auf. Noch im Sommer stand Österreich mit seiner Haltung, die Beitrittsgespräche mit Ankara müssten auf Eis gelegt werden, einsam und alleine da. Mittlerweile verlangt auch das EU-Parlament genau das. Mutig und richtig nennt Kurz diese Forderung: "Die Türkei hat sich in den letzten Jahren immer weiter weg von Europa entwickelt. Und in den letzten Monaten hat sich diese Entwicklung nochmal beschleunigt. Über Hunderttausend sind eingesperrt worden, Andersdenkende werden eingeschüchtert, und auch die Todesstrafe soll wieder eingeführt werden. Darauf muss Europa reagieren."
Dialog fortsetzen
Der österreichische Außenminister wähnt die Niederlande und Bulgarien in der Frage auf seiner Seite, muss aber selber eingestehen, dass dies noch lange keine breite Mehrheit darstellt. Zumal diese Länder sicher nicht zu den absoluten Schwergewichten unter den EU-Staaten zählen. "Ich denke nicht, dass wir die Verhandlungen stoppen sollten. Wir sollten den Dialog mit der Türkei fortsetzen. Das Land ist ein wichtiger Partner", betont der slowakische Außenminister, dessen Land derzeit den Vorsitz innehat bei Beratungen auf Ministerebene.
"Schock-Frosten" wäre Fehler
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnt: "Ich halte das noch nicht für verantwortungsvolle Außenpolitik, wenn man sich nur und einfach hinstellt und sagt: 'Wir beenden jetzt mal die Beitrittsgespräche' - ohne auch klar zu sagen, was die Folgen sind." Ganz ähnlich sieht das der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. In Sachen Rechtsstaat müsse man der Türkei zwar deutlich die Meinung sagen. Ein "Schock-Frosten" der Beitrittsgespräche jedoch hielte er für einen Fehler: "Helfen wir damit dem türkischen Volk - und es sind viele Millionen, die auf die Europäische Union setzen - wenn wir abbrechen? Die Antwort ist Nein. Haben wir genug Einfluss, wenn es um die Einführung der Todesstrafe geht, wenn wir abbrechen? Nein. Helfen wir dem Friedensprozess für Zypern, wenn wir abbrechen? Nein."
Asselborn ist nach diesem dreifachen Nein überzeugt davon, dass es weniger im Interesse der türkischen Regierung wäre als vielmehr im Interesse der türkischen Bevölkerung, wenn man die Gespräche fortsetzt.
Einstimmigkeit ist Pflicht für Gespräche
Derzeit gibt es wenige Anzeichen dafür, dass die EU tatsächlich ein Auf-Eis-Legen der Beitrittsgespräche beschließt. Was Österreich und dessen mögliche Mitstreiter allerdings erwirken können, ist durch ein Veto das Öffnen weiterer Beitrittskapitel zu blockieren, weil dafür Einstimmigkeit nötig ist. Das allerdings war so schnell ohnehin nicht vorgesehen.
Eine rote Linie hatte die EU ja ohnehin schon gezogen: Führt Ankara die Todesstrafe wieder ein, wären die Verhandlungen beendet.