Spannungen zwischen EU und Türkei Vorwärts zum Rückschrittsbericht
Die EU-Staaten bemühen sich, gegenüber der Türkei Entschlossenheit zu demonstrieren und gleichzeitig die Gespräche über einen Beitritt nicht ganz abreißen zu lassen. Doch der anstehende Fortschrittsbericht dürfte zum Rückschrittsbericht werden.
Die EU will es im schwierigen Umgang mit der Türkei offenbar weiter mit Dialog versuchen: Heute hielt das sogenannte "Politische und Sicherheitspolitische Komitee", in dem alle 28 Mitgliedsstaaten vertreten sind, eigens ein Krisentreffen ab. Derzeit ist man dabei, eine gemeinsame Erklärung abzustimmen. Die soll, wie das ARD-Studio Brüssel vorab aus Diplomatenkreisen erfuhr, klarstellen, dass die EU die jüngsten Vorgänge in der Türkei mit "ernster Sorge" verfolge. Und auch die Einschränkungen der Meinungsfreiheit sowie die Verhaftungen von Oppositionspolitikern sollen kritisiert werden.
Allerdings deutet derzeit wenig darauf hin, dass die Erklärung in einer direkten Drohung an die Adresse Ankaras münden wird, sondern vielmehr in einem Gesprächsangebot. Man dürfte die Türkei an die Achtung der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaats erinnern und auch daran, dass das Land ein EU-Beitrittskandidat ist - und wird wohl gleichzeitig klarstellen, dass man bereit ist, den politischen Dialog mit dem Land fortzusetzen.
Asselborn historisch auf sehr dünnem Eis
Dass nun alle 28 EU-Staaten an einer gemeinsamen Erklärung sitzen, ist der Versuch gegenüber der Erdogan-Regierung einen geschlossenen Eindruck zu machen. Denn natürlich ist es so, dass aus den einzelnen Mitgliedsländern nun allerlei Vorschläge kommen, wie man am besten mit der Türkei umspringen solle. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn zum Beispiel brachte Wirtschaftssanktionen ins Gespräch: "50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union. Nach Russland sind es nur zwei Prozent. 60 Prozent der Investitionen in die Türkei kommen aus der Europäischen Union. Das ist ein absolutes Druckmittel", so Asselborn, der sich allerdings historisch auf sehr dünnes Eis begab, als er Erdogan vorwarf, sich derselben Methoden zu bedienen, die auch unter der Nazi-Herrschaft benutzt wurden. Jedenfalls ist derzeit nicht absehbar, dass sich die EU-Staaten darauf verständigen werden, wirtschaftlich schmerzhafte Maßnahmen zu verhängen.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz machte einen anderen Vorschlag: die Beitrittsgespräche mit der Türkei sofort stoppen. Schon im Sommer hatte Österreich dafür geworben, stand jedoch mit diesem Vorstoß relativ einsam auf weiter Flur.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
"Ich finde es wichtig, dass jetzt kein Land vorprescht, sondern dass man sich hier gemeinsam abstimmt", gibt der SPD-Außenpolitiker Arne Lietz im Interview mit dem ARD-Hörfunk in Brüssel zu Bedenken. Europa müsse lernen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben. "Daher ist es nicht sachdienlich, dass jetzt die einzelnen Außenminister ihrerseits unterwegs sind", so Lietz.
Andere weisen beständig darauf hin, dass die EU Gefahr laufe, sich bei einem Gesprächsabbruch auch noch den letzten Rest Einfluss zu berauben, den sie noch auf Präsident Erdogan hat. Schon jetzt blicken alle gespannt auf Mittwoch: Dann wird die EU-Kommission ihren "Fortschrittsbericht" zum Beitrittskandidaten Türkei vorlegen. Ersten Vorabberichten zufolge wird das - wenig überraschend - eher ein "Rückschrittsbericht". Ob die Kommission daraus allerdings Konsequenzen zieht und rät, den vermutlich harten Worten auch Taten folgen zu lassen, ist noch nicht absehbar.