EU-Kommission über Pakt mit Türkei Weniger Flüchtlinge, aber wenig Bewegung
Fragil sind nach Ansicht der EU-Kommission die Fortschritte im Flüchtlingspakt mit der Türkei. Vor allem in Sachen Visafreiheit und Anti-Terror-Gesetze hakt es. Fragil ist aber auch die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU.
Die Türkei werde eines Tages Mitglied der Europäischen Union - und zwar nicht erst im Jahre 3000, wie Großbritanniens Premier David Cameron vermutet, sondern bereits sehr viel früher, prophezeit EU-Kommissar Günther Oettinger. "Sie werden's erleben", sagte Oettinger dem 39-jährigen Korrespondenten des Brüsseler Informationsdienstes Politico. Er selbst aber auch, betont der 62-Jährige: "Und ich werde es, wenn ich nicht dement werde, in hohem Alter als Ex-Kommissar erleben." Und auch der gleichaltrige türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan werde noch zu Lebzeiten Zeuge einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei. "Und Erdogan wird's dann im Altenheim in Ankara erleben." Bisher gibt es keine Reaktion Erdogans auf diese Botschaft aus Brüssel.
EU-Kommissar Oettinger glaubt an einen mittelfristigen EU-Beitritt der Türkei.
Behält Oettinger Recht, dann hätte der EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei eine nachhaltige Wirkung, denn eine Intensivierung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist ein wichtiger Punkt des Abkommens mit Ankara, das die Zahl der Flüchtlinge in der EU reduzieren soll.
Weniger Flüchtlinge nach Griechenland
Zur Zeit hält sich die Türkei an ihre Zusage, den Schlepperbanden entlang der türkischen Küste das Handwerk zu legen und Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen: Vor dem Flüchtlingsdeal mit Ankara gelangten täglich rund 1740 Migranten über die Türkei nach Griechenland, im vergangenen Monat waren es hingegen nur noch durchschnittlich 47 Migranten pro Tag. 462 Flüchtlinge hat die Türkei in den letzten drei Monaten aus Griechenland zurückgenommen, unter ihnen rund zwei Dutzend Flüchtlinge aus Syrien. Die EU hat im Gegenzug eine entsprechende Anzahl Flüchtlinge aus der Türkei übernommen.
Fragiles EU-Türkeiabkommen ...
Die Erfolgsaussichten des EU-Türkei-Abkommens bleiben nach Einschätzung der EU-Kommission dennoch fragil. So ist nach wie vor völlig unklar, ob und wann die der Türkei zugesagte Visaliberalisierung bei Reisen die in die EU tatsächlich kommt. Man verhandele, es gebe Fortschritte, aber noch seien die Bedingungen der EU für eine Visaliberalisierung nicht erfüllt, betonte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel. Denn der türkische Präsident und die Regierung in Ankara verweigern weiterhin strikt jede Änderung der weit gefassten Anti-Terrorgesetze.
Von Erdogans Drohung, falls die Abschaffung des Visumszwangs nicht bis Oktober komme, werde er die Flüchtlinge wieder Richtung Griechenland ziehen lassen, lassen sich weder die EU-Kommission noch das europäische Parlament beeindrucken. Das Juncker-Team geht davon aus, dass Erdogan die EU mindestens so dringend als Partner braucht wie umgekehrt - denn der türkische Präsident hat außerhalb Brüssels zur Zeit kaum potenzielle Partner, nachdem sich Erdogans Beziehungen zu Moskau und Washington deutlich verschlechtert haben.
... und fragile Flüchtlingsumverteilung
Fragil ist aus Sicht der EU-Kommission aber nicht nur die Umsetzung des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals, sondern auch die bereits im vergangenen September beschlossenen Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland. Ob diese beschlossene Umverteilung realistisch sei, wisse er nicht, aber sie müsse Realität werden, unterstreicht EU-Innenkommissar Avramopoulos. Die Flüchtlinge aus Italien und Griechenland müssten umgesiedelt werden. Alle EU-Mitgliedsstaaten müssten sich daran beteiligen. Sonst werde er die Verweigerer beim Namen nennen und blamieren, kündigt Avramopoulos an.
Tatsache ist: Nur 2204 Flüchtlinge von 160.000 wurden bis Ende letzten Monats umgesiedelt. Die wichtigsten Umsiedlungsländer für Flüchtlinge aus Italien und Griechenland sind Frankreich, Finnland, die Niederlande und Portugal. Keinen einzigen Platz für die Umsiedlung zur Verfügung gestellt haben Großbritannien, Österreich, Ungarn, die Slowakei und Polen. Eine Pflichtquote für die Flüchtlingsumverteilung aus Italien und Griechenland hät EU-Kommissar Oettinger für unrealistisch, da diese Quote trotz eines entsprechenden Ratsbeschlusses politisch nicht umsetzbar sei. Er halte eine freiwillige Quote für wahrscheinlich, sagte Oettinger gestern in Brüssel. Eine solche freiwillige Quote bringe sehr viel - wenn denn viele EU-Staaten mitmachten.