Die Wahl und der Brexit EU blickt mit Sorge nach London
In zehn Tagen beginnen die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien. Wer den Europäern dabei gegenübersitzt, ist nach der Wahlschlappe für Premierministerin May völlig offen. Das Problem: Eine geschwächter Brexit-Kontrahent hat weniger Verhandlungsspielraum.
Von Ralph Sina, ARD-Studio Brüssel
Nach Schadenfreude ist der EU nicht zu Mute, im Gegenteil. Denn die Zeit der Unsicherheit geht weiter. Dass der Autoritätsverlust für die amtierende Regierungschefin Theresa May so groß werden würde, hat von EU-Seite niemand erwartet. Der Verlust der absoluten Mehrheit für die konservativen Tories macht Brüssel jetzt nervös. Denn eine geschwächte britische Brexit-Kontrahentin hat deutlich weniger Verhandlungsspielraum.
Mit seinem schwachen Verhandlungspartner läuft man Gefahr, dass die Verhandlungen für beide Seiten schlecht laufen." EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger im Deutschlandfunk.
In zehn Tagen beginnen Verhandlungen
Für den Brexit-Experten des EU-Parlaments, Elmar Brok, steht fest, dass "die Stärke einer Regierungschefin entscheidend ist für ihre Kompromissfähigkeit." Wer den EU-Unterhändlern ab 19. Juni als britischer Unterhändler gegenübersitzt, ist unklar. Für die bereits in zehn Tagen in Brüssel beginnenden Brexit-Verhandlungen ist das ein schlechtes Vorzeichen. "Die Uhr tickt", betont Brok. Und nun besonders laut, weil die Briten durch die Neuwahlen zum Unterhaus mindestens einen Monat Verhandlungszeit verloren haben.
Bereits am 29. März 2019 müssen laut Fahrplan zwei Verträge auf dem Tisch liegen: das Scheidungsabkommen und ein vorläufiges Handelsabkommen - beides unterschrieben von der gesamten EU und dem dann nicht mehr zu ihr gehörenden Vereinigten Königreich. Es sei denn, alle 27 EU-Staaten stimmen einer Verlängerung der Verhandlungsfrist zu.
50: 50 stehen die Chancen, dass bis März 2019 Scheidungsvertrag und provisorischer Handelsvertrag unterzeichnet sind - mit dieser Schätzung steht Brok nicht allein. Die Gefahr, dass die Verhandlungen bereits im Herbst abgebrochen werden, ist aus Sicht der EU-Verhandler nicht zu unterschätzen. Denn London will von der ersten Minute an sowohl die Scheidung wie auch die künftigen Beziehungen verhandeln. Die Devise dabei: "Einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Großbritannien und eine Ablösesumme aus London bekommt ihr Europäer erst dann, wenn ihr uns Briten einen großzügigen Handelsvertrag anbietet."
EU vor schwierigen Verhandlungen
Die EU will sich auf diese Strategie nicht einlassen. Brüssel will aber auch vermeiden, gleich sehr hohe Summen von bis zu 100 Milliarden Euro in den Raum zu stellen, welche die Briten aus Brüsseler Sicht den EU-Pensionsfonds und diversen anderen Fonds und Projekten schulden.
So einig sich die EU zur Zeit nach außen als Verhandlungspartner gibt - hinter den Kulissen wird bereits gestritten. Zum Beispiel um die Frage, wohin die Europäische Arzneimittel-Agentur und die Europäische Bankenaufsicht aus London umgesiedelt werden sollen. Können sich die EU- Staats-und Regierungschefs nicht einigen, wird im Herbst das Los entscheiden.
Schwierige Verhandlungen stehen der EU also auch intern bevor. Doch die EU-Kommission und ihr Chefunterhändler Michel Barnier geben sich optimistisch. Man betrete zwar unbekanntes Terrain, aber die EU-Verhandler seien bestens vorbereitet, ruhig und gelassen. Jetzt muss sich Großbritannien nach der Wahl schnell verhandlungsbereit machen - oder den Scheidungsantrag vom 29. März zurückziehen.