EU-Parlament und Türkei Gesprächsstopp bei Verfassungsreform?
Das EU-Parlament will die Beitrittsgespräche mit der Türkei einfrieren - wenn dort die umstrittene Verfassungsreform kommt. Ihre Aufforderung an die Kommission ist aber nicht bindend.
Es ist bereits der zweite Versuch des EU-Parlaments, den Rest der Europäischen Union zu einem härteren Umgang mit der Türkei zu bewegen: Wo andere schweigen, reden wir Klartext - das ist die Botschaft, die von der Entschließung ausgehen soll. Die Abgeordneten versuchen, sich damit auch als eine Art "moralisches Gewissen" der EU in der Türkei-Frage zu positionieren.
So erklärt die niederländische Sozialdemokratin Kati Piri, die den Beschlusstext ins Parlament eingebracht hatte, das Fehlen einer Strategie von Seiten der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten bereite den Parlamentsmitgliedern große Sorge. "Da scheint ein 'Warten-Beten-Hoffen'-Ansatz vorzuherrschen - nach dem Motto: Vielleicht werden die Dinge ja besser, wenn man nicht allzu viel Lärm erzeugt."
Will Präsident Erdogan seine persönliche Macht ausbauen? Das meinen in der EU viele.
Alles bleibt wie es ist
Die EU-Einzelstaaten versiegeln ihre Lippen zwar nicht gänzlich zu den Vorgängen in der Türkei. Sie machen allerdings auch keinerlei Anstalten, die Beitrittsgespräche mit Ankara hochoffiziell einzufrieren. So stellte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach dem umstrittenen Referendum klar, dass der Beitrittsprozess weitergehe, "er wird weder auf Eis gelegt noch beendet. Aber: Wir arbeiten derzeit auch nicht an der Öffnung neuer Beitrittskapitel."
Das bedeutet im Klartext: Es bleibt vorerst alles so, wie es ist. Auf dem Papier laufen die Türkei-Beitrittsgespräche weiter. In der Praxis jedoch gibt es kein Vorankommen. Aktiv verrammeln wollen die EU-Staaten der Türkei die Beitrittstür auch deshalb nicht, weil sie damit fürchten, Präsident Erdogan einen Propaganda-Erfolg zu gönnen, der den Beitritt ohnehin vermutlich längst abgeschrieben hat.
Zweiter Anlauf des Parlaments
Der Vorsitzende der stärksten Fraktion im EU-Parlament, der CSU-Politiker Manfred Weber, sieht das anders: "Wir können angesichts der Entwicklung in der Türkei nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und so tun, als sei nichts passiert." Er fordert deshalb jetzt ein "klares Signal".
Christdemokrat Manfred Weber will ein "klares Signal" an die Türkei.
Schon Ende 2016 hatte das Parlament ein Aussetzen der Beitrittsgespräche gefordert. Nun empfiehlt es also erneut das Betätigen des Pausenknopfs bei den Verhandlungen - für den Fall, dass die im türkischen Verfassungsreferendum vorgesehenen Maßnahmen eins zu eins umgesetzt werden.
Die EU-Einzelstaaten fürchten, mit einem Einfrieren der Gespräche in erster Linie die zu treffen, die es am wenigsten verdienen - nämlich die Erdogan-Gegner.
Erdogan baut seine Macht aus
Doch im EU-Parlament ist die Meinung einhellig. Alle maßgeblichen Fraktionen stimmten für den Vorstoß und Berichterstatterin Piri sowieso. Es sei zwar nicht das Ziel des Parlaments, "den Menschen in der Türkei einen Extra-Fußtritt zu versetzen". Man wolle nur sagen: Wenn in einem Beitrittskandidatenland solch offensichtlicher und andauernder Missbrauch herrsche, müsse das für die EU-Türkei-Beziehungen Folgen haben.
Auch die allseits angesehenen Verfassungsexperten des Europarates warnen, dass Präsident Erdogan seine Macht mithilfe des Referendums hin zu einer "Ein-Mann-Herrschaft" ausbaue. Die Frage ist nur: Wie soll man darauf am klügsten reagiere?
Das EU-Parlament ist da anderer Meinung als die EU-Einzelstaaten, die das letztlich entscheiden müssen. Und es sieht auch nicht so aus, als würde sich daran etwas ändern.