EU-Innenminister tagen Asylzentren - Seehofers Schlüsselfrage
Die EU-Innenminister beraten heute über eine gemeinsame Asylpolitik. Bundesinnenminister Seehofer will Asylzentren an den EU-Außengrenzen durchsetzen. Kritiker meinen: Sie wären nicht die Lösung.
Erleichterung auf der "Ocean Viking": Endlich darf das Rettungsschiff der Organisation SOS Méditerranée den Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien anlaufen. An Bord sind 180 Geflüchtete, vor mehr als einer Woche aus Seenot gerettet. Jetzt sollen diese Menschen auf ein Quarantäneschiff gebracht, auf eine Corona-Infektion getestet und medizinisch versorgt werden. Dazu war Italiens Regierung erst bereit, als die Gewalt an Bord eskalierte, die Crew den Notstand ausrief und mehrere Menschen versuchten, sich das Leben zu nehmen.
Das Drama um die "Ocean Viking" ist nur eines von vielen. Monat für Monat versuchen Menschen, in seeuntüchtigen Booten von Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind dabei in den vergangenen fünf Jahren mehr als 19.000 Menschen ertrunken.
Die Frage nach Sterben und Überleben auf dem Mittelmeer und an den Rändern Europas beschäftigt heute auch die Innenminister der EU. "Wir müssen alle Kräfte in Bewegung setzen, damit es zu einer Lösung kommt, denn so kann es nicht weitergehen", bringt Bundesinnenminister Horst Seehofer das grundsätzliche Problem auf den Punkt.
Erst im Herbst vergangenen Jahres hatten sich Deutschland, Frankreich, Malta, Italien und die finnische Ratspräsidentschaft auf eine Art Verteilmechanismus für aus Seenot gerettete Menschen geeinigt. Es war der kleinste mögliche Nenner, um Malta und Italien entgegenzukommen. Doch die jüngsten Ereignisse zeigen, dass selbst diese Mini-Koalition der Willigen nicht funktioniert - und nicht als Blaupause taugt.
Seehofer fordert Asylzentren an EU-Außengrenze
Tatsächlich fühlen sich Griechenland, Italien, Malta, Zypern und Spanien schon lange alleingelassen. Die Folge: Sie schieben sich gegenseitig Geflüchtete zu, wenden immer häufiger Gewalt an, um auf illegale Weise Menschen zur lebensgefährlichen Umkehr zu zwingen.
Seehofer will nun die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um endlich voranzukommen. Für ihn hängen die Themen Seenotrettung, Asylprüfung und Verteilung von Asylsuchenden eng zusammen. Deshalb will er Asylzentren an den EU-Außengrenzen. Dort solle festgestellt werden, "ob es eine Asylberechtigung gibt": Migranten, die eine solche haben, sollen von dort auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden; Migranten ohne Aussicht auf Asyl sollen von der EU-Außengrenze in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden.
Seehofer will in Brüssel für diesen nicht ganz neuen Ansatz werben. Er hofft, dadurch die Zahl der Asylberechtigten an der Außengrenze schnell so zu reduzieren, dass auch Ungarn, Polen und andere, die bislang keine Geflüchteten aufnehmen wollen, sich am Ende bewegen.
"Unser primäres Ziel ist, dass alle mitmachen", sagte er. "Und wenn es partout nicht geht, muss Solidarität eben anders erfolgen: finanziell oder personell, indem man etwa Personal für die Grenzschutzagentur Frontex zur Verfügung stellt."
Kritiker: Moria beweist Scheitern von Seehofers Ansatz
Der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt ist skeptisch - sowohl, was ein Engagement von Staaten wie Ungarn betrifft, als auch gegenüber der Idee, an den Außengrenzen Asylanträge prüfen zu wollen. Für ihn ist der so genannte EU-Hotspot Moria der Beweis, dass es so nicht geht.
Unter katastrophalen humanitären Umständen harren alleine in diesem Lager auf der griechischen Insel Lesbos mehr als 15.000 Menschen aus, manche warten bereits seit Jahren auf ihr Asylverfahren. Die Corona-Pandemie hat die Lage dramatisch verschärft. Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht mit Geflüchteten Politik.
"Es ist eben ein System, das erst zu diesen humanitären Krisen an den Außengrenzen führt", meint Marquardt. "Man macht sich erpressbar von jemandem wie Erdogan, der das Faß mit ein paar weiteren Tropfen zum Überlaufen bringt, und dann hat man eine große Krise."
Doch der deutsche Innenminister bleibt dabei: Für ihn ist es eine Schlüsselfrage, ob es gelingen kann, noch vor der Verteilung von Geflüchteten ihre Asylchancen zu klären.
Die EU-Kommission gibt sich äußert zugeknöpft
Die Debatte darüber dürfte schwierig werden - zumal die Innenministerinnen und Innenminister quasi im luftleeren Raum beraten. Denn die EU-Kommission gibt sich äußerst zugeknöpft: Ihr schon lange angekündigter Vorschlag für einen neuen Asyl- und Migrationspakt lässt weiter auf sich warten. Offiziell erst wegen der Corona-Krise und nun wegen der Verhandlungen über die EU-Finanzen.
Währenddessen spielt sich bereits das nächste Drama im Mittelmeer ab: Derzeit harren vor Malta Dutzende Geflüchtete aus Somalia auf einem Frachtschiff aus, das eigentlich Tiere transportiert. Italien hatte die Einfahrt verweigert und das Schiff Richtung Malta verwiesen.