Fischerei in der EU Warum die Fangquoten für Streit sorgen
Wie lassen sich Umweltschutz und wirtschaftliche Interessen ganzer Branchen vereinbaren? Wie schwierig die Antwort auf diese Frage ist, zeigt das Ringen um Fangquoten für die europäische Fischerei.
Mitte Oktober hat die EU die Fischfangquoten in der Ostsee für 2022 drastisch gekürzt, vor allem für Dorsch und Hering. Für den zuständigen EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius ist dieser Schritt unausweichlich. Es gehe darum, sowohl die bedrohten Fischarten zu retten als auch den Fangflotten eine Zukunft zu sichern.
In der westlichen Ostsee dürfen die Fischer künftig zwar etwas mehr Scholle und Sprotte fangen, aber keinen Dorsch und nur noch sehr viel weniger Hering. Die EU-Fischereiminister folgten damit dem Vorschlag der Kommission, die sich auf Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung stützt.
Dort warnt man schon lange, die Ostsee leide unter Verschmutzung und an den Folgen der Überdüngung, weil Stickstoff von Ackerflächen über Flüsse ins Meer gelangt. Durch den Klimawandel sei das Wasser zu warm. Die Überfischung werde vor allem durch die großen europäischen Fangnationen Finnland, Schweden und Polen vorangetrieben.
Drastische Kürzung der Fangquoten
Hering und Dorsch galten lange als sogenannter Brotfisch für Generationen von Fischern. Inzwischen aber gehe es beiden Arten sehr schlecht, bestätigt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. "Im Grunde seit 2017 stellen wir fest, dass der Nachwuchs sehr, sehr schwach ist", sagte er dem NDR. Für den Fall, dass sich das nicht ändere, sei immer wieder angekündigt worden, dass Quoten dann reduziert werden müssten. "Dass sie jetzt so drastisch reduziert werden müssen, das war im letzten Jahr noch nicht absehbar", so Zimmermann.
Künftig soll den Europäern in der Ostsee lediglich ein Beifang von knapp 490 Tonnen Dorsch und 788 Tonnen Hering erlaubt werden. Für Deutschland bedeutet das 104 Tonnen westlicher Dorsch als Beifang, dazu 435 Tonnen westlicher Hering. Ausnahmeregelungen soll es für Fischerboote unter zwölf Metern geben, wenn sie mit passivem Fanggerät arbeiten, also etwa mit Stellnetzen.
Klöckner kritisiert ungleiche Behandlung der Gewässer
"Das können wir so nicht mittragen" - so erklärte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr Nein beim Ministerrat. Deutschland habe bei Hering und Dorsch bereits in den vergangenen Jahren drastische Kürzungen hinnehmen müssen: um 94 Prozent gegenüber der Fangmenge 2017. "Es kann nicht sein, dass unsere Fischerei in der Ostsee massive Einschnitte hinzunehmen hat. Aber auf der anderen Seite wird währenddessen in nördlicheren Gewässern - sei es im Kattegat und Skagerrak - weiterhin gefischt und überfischt, und das muss zusammen nachhaltig gemanagt werden."
Die Fischbestände erstreckten sich schließlich auch jenseits der Ostsee, vor Schweden oder Norwegen, so Ministerin Klöckner. Dort seien die Fangquoten im gleichen Zeitraum deutlich weniger gekürzt worden. Die Bestände könnten sich aber nur dann erholen, wenn die Fangmengen auch dort drastisch reduziert würden.
Fischer sehen ihre Existenz bedroht
Da das aber vorerst nicht passiert, sieht Ostseefischer Sven Thürke seine wirtschaftliche Existenz bedroht. Seit 30 Jahren ist er im Geschäft, fängt nun Scholle und andere Fische. Aber er weiß genau: Den Fang einfach nur zu verlagern, löst in dieser Situation das Grundproblem nicht. Wenn in der Ostsee nun keine Dorsche oder Heringe mehr gefischt werden könnten, "dann geht es automatisch in den Boddengewässern weiter. Dann wird Hecht gefischt, dann wird Flundern gefischt, dann wird Barsch gefischt und Brassen und alles - ist ja auch nicht ewig, wenn du ein paar Jahre gut fischt."
In jedem Fall bahne sich eine Tragödie an, sagte Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Institut für Ozeanforschung dem NDR - eine Tragödie für den Fisch, aber auch für die kleinen Ostseefischer. Mit den jahrelang viel zu hohen Fangquoten für die industrielle Schleppnetzfischerei habe der EU-Fischereirat den Kollaps der Bestände selbst herbeigeführt. Auch Deutschland habe verhängnisvolle Beschlüsse mitgetragen. "Die vorgeschriebenen Fänge waren viel zu hoch", sagt Froese. "Die Fischer sind also geschädigt worden und haben aus meiner Sicht Recht auf Entschädigung. Und man müsste im Grunde die Fischer über die nächsten Jahre bezahlen, damit sie in im Beruf bleiben können."
Im Bundeslandwirtschaftsministerium denkt man derweil über Subventionen nach, aber auch über Stilllegungen und Abwrackmaßnahmen. Längst fordern Umweltverbände, endlich auch die Fangquoten etwa für Hering nicht nur in der Ostsee, sondern auch in der Nordsee zu beschränken - um den Fisch in der EU insgesamt noch zu retten und vielleicht auch die Fischer.