EU-Entsenderichtlinie Ein Kompromiss gegen das Lohndumping
In Dänemark kostet eine Arbeitsstunde 42 Euro, in Bulgarien dagegen nur 4,40 Euro. Diese Unterschiede sorgen seit längerem für Streit - darüber, welche Standards bei entsendeten Arbeitern gelten. Dazu gibt es nun einen Kompromiss auf EU-Ebene.
Es geht um Hunderttausende Beschäftige: Pflegerinnen aus Polen, Bauarbeiter aus Rumänien oder Fleischer aus Bulgarien, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern arbeiten. Für Unternehmen und Kunden erledigen sie dort preiswert Aufträge, für ihre Heimatländer sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Doch Gewerkschafter kritisieren: Diese Beschäftigten werden häufig ausgebeutet. Mindestlohnsätze würden untergraben. Überlange Arbeitszeiten würden verlangt, aber nicht bezahlt. Die meisten entsendeten Beschäftigten verdienen laut EU-Kommission oft nicht einmal halb so viel wie ihre einheimischen Kollegen. "Wir wollen gleiche Bezahlungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort", fordert daher der estnische Arbeitsminister Jevgeni Ossinovski.
Ziel: Fairer Arbeitsmarkt mit sozialen Rechten
Die Regeln für die Entsendung sollen verschärft werden, um Arbeitnehmer in Europa besser vor Lohn- und Sozialdumping zu schützen. "Wir wollen einen fairen Arbeitsmarkt mit sozialen Rechten, die alle Mitgliedsländer in der Europäischen Union einhalten", sagt Marianne Thyssen, die in der EU-Kommission für Arbeit und Soziales zuständig ist.
Entsendungen sollen in Zukunft im Durchschnitt nicht länger als zwölf Monate gelten, in Ausnahmefällen 18 Monate. Künftig sollen für Entsandte und Einheimische grundsätzlich die gleichen Regeln zur Vergütung gelten - also nicht mehr nur Mindestlohn, sondern auch Weihnachtsgeld, Prämien oder Schlechtwettergeld. Das Transportgewerbe bleibt allerdings zunächst von den neuen Regeln ausgenommen.
Problem: Unterschiedliche Standards
Das Grundproblem ist, dass Löhne und Sozialstandards in den einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich sind. In Dänemark zum Beispiel liegen die Arbeitskosten pro Stunde bei etwa 42 Euro. In Bulgarien sind es dagegen nur rund 4,40 Euro. Deshalb können Unternehmen aus Ländern mit geringen Löhnen und Sozialbeiträgen die Preise für Dienstleistungen in reicheren Staaten unterbieten.
Hier sollte die europäische Entsenderichtlinie gegensteuern, die es seit gut zwanzig Jahren gibt. Sie schreibt vor, dass zum Beispiel Mindestlöhne im Aufnahmeland auch für entsendete Arbeitnehmer gelten.
Gewerkschafter beklagen jedoch Schlupflöcher und Missbrauch. Ausländische Arbeitnehmer würden oft ausgebeutet und örtliche Sozialstandards damit ausgehöhlt. Die Reform der Entsenderichtlinie soll genau das ändern. Der neue Kompromiss ist ein klares Zeichen für ein gerechteres und sozialeres Europa, meint EU-Arbeitskommissarin Thyssen.
Dennoch gehen die Interessen zwischen den einzelnen EU-Ländern weit auseinander. Die Reform der Entsenderichtlinie war vor allem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefordert worden, um einheimische Beschäftigte in Frankreich vor Lohndumping zu schützen. Deutschland, die Benelux-Staaten und weitere Länder unterstützten ihn.
Ergebnis: Osteuropa zieht nicht mit
Ungarn, Litauen, Lettland und Polen lehnten den Kompromiss dagegen ab. Vor allem osteuropäische Länder kritisierten, dass westliche Staaten ihre Arbeitsmärkte abschotten wollen.
Großbritannien, Irland und Kroatien enthielten sich aus Bedenken, dass die Reform ihren Transportsektor belasten könnte. Viele Länder trugen den Kompromiss also letztlich nicht mit.
Nun soll die Erklärung Mitte November bei einem EU-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den anderen Staats- und Regierungschefs in Göteborg unterzeichnet werden. Zustimmen muss auch noch das Europaparlament, das voraussichtlich noch eigene Änderungsvorschläge machen wird.