Porträt

"Cumhuriyet"-Herausgeber Can Dündar "Es gibt noch eine Nicht-Erdogan-Türkei"

Stand: 08.07.2016 14:40 Uhr

Für den türkischen Präsidenten Erdogan gilt der Journalist Can Dündar wohl als Staatsfeind. Dündar deckte Waffenlieferungen an syrische Islamisten auf, dafür droht ihm Gefängnis. Das Netzwerk Recherche zeichnete Dündar nun für seine Arbeit aus.

Can Dündar wird derzeit mit Preisen geradezu überhäuft. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen", der Presse-Klub in Schweden oder jetzt das "Netzwerk Recherche" - sie alle zeichnen den 55-jährigen aus, weil er mutig für die Pressefreiheit in der Türkei streitet und sich weder von drohenden Haftstrafen noch von tätlichen Angriffen einschüchtern lässt.

Sorge um Zukunft der "Cumhuriyet"

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Dündar kürzlich mit leichtem Seufzen: "Wir haben in diesem Jahr schon sehr viele internationale Auszeichnungen bekommen, wir können sie aber nicht essen." Hinter diesem Satz steckt die Angst, dass die Zeitung von Dündar, das Oppositionsblatt "Cumhuriyet", wirtschaftlich in den Ruin getrieben wird. Regierung und Justiz in der Türkei machen den Journalisten der "Cumhuriyet" das Leben schwer - sie überziehen die Zeitung mit Geldstrafen und Prozessen.

Ein Istanbuler Gericht verurteilte vor zwei Monaten Chefredakteur Dündar zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül wegen eines Artikels sogar zu langjährigen Haftstrafen "Dieses Urteil richtet sich gegen die gesamte Presse der Türkei. Dieses Urteil soll die Journalisten einschüchtern", sagte Dündar am 6. Mai 2016 nach der Urteilsverkündung. Dündar soll für fünf Jahre und zehn Monate ins Gefängnis; sein Kollege Gül für fünf Jahre. Beide haben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Solange über diese Berufung nicht entschieden ist, bleiben sie auf freiem Fuß.

Recherche über Waffenlieferungen des Geheimdienstes

Verurteilt wurden sie wegen "Veröffentlichung geheimer Dokumente." Dündar und Gül hatten in einem Zeitungsartikel aufgedeckt, dass der türkische Geheimdienst Waffen an Islamisten in Syrien geliefert hatte. Waffen, die möglicherweise in die Hände von IS-Terroristen gefallen sein könnten. Dündar und Gül wollten mit diesem Artikel beweisen, dass die türkische Regierung militante Islamisten unterstützt.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte empört auf diesen Artikel reagiert und persönlich Strafanzeige gegen die beiden Journalisten gestellt. Das sei Spionage, schimpfte Erdogan und drohte den Journalisten, sie müssten einen hohen Preis zahlen. Dündar aber betont stets, sein Kollege Gül und er hätten nur ihre Arbeit als Journalisten getan, nicht mehr: "Wir stehen vor Gericht, weil wir den Journalismus verteidigen, weil wir das Recht der Bürger auf Informationsfreiheit verteidigen, und nicht zuletzt, weil wir meinen, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, dass die Regierung gelogen hat."

"Europäer müssen Druck auf Erdogan ausüben"

Von Kanzlerin Angela Merkel, von EU-Politikern, überhaupt von den westlichen Ländern fordert Dündar, mehr Druck auf Erdogan auszuüben. Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei müsse angeprangert werden. Auf keinen Fall aber dürften die Beziehungen zur Türkei abgebrochen werden, so Dündar. Denn es gebe noch eine andere Türkei, die nicht die Erdogan-Türkei sei, sagt Dündar in einem Interview, dass das "Netzwerk Recherche" auf seiner Homepage veröffentlicht hat: "Eine westliche, eine moderne Türkei, die die westlichen Werte schätzt: Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit, Säkularismus. Bitte unterstützen Sie diese Türkei."

Thomas Bormann, Thomas Bormann, ARD Istanbul, 08.07.2016 12:47 Uhr

Dündar nimmt eine Auszeit

Doch der Kämpfer für die Pressefreiheit in der Türkei ist müde, erschöpft. Can Dündar wird für die kommenden Monate eine Auszeit nehmen; seine Ämter in der Zeitung "Cumhuriyet" ruhen lassen. All die Drohungen, der versuchte Mordanschlag im Mai, die Untersuchungshaft - all das habe an seinen Kräften gezehrt, teilte Dündar seinen Mitarbeiter mit. Deshalb werde er sich eine Weile zurückziehen.

In einer kurzen Mitteilung per Twitter ließ Dündar aber keinen Zweifel daran, dass er bald zurückkommen wird. Dündar schrieb über seinen vorübergehenden Abgang: "Meine Freunde sollen nicht traurig sein und meine Feinde sollen nicht jubeln."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das nachtmagazin am 09. Juli 2016 um 01:05 Uhr.