Deutsche in Großbritannien "Das Land fühlt sich anders an"
Angesichts des Brexit-Chaos wächst unter Deutschen in Großbritannien die Unsicherheit. Nicht nur die ungewisse Zukunft macht ihnen zu schaffen, sondern auch die veränderte Stimmung im Land.
Die Stimmung ist gut im Entchenclub in Forest Hill, weit im Süden von London. Ein paar Kinder spielen in der kleinen Halle und haben überhaupt keine Ahnung vom Brexit - zum Glück. Denn den Großen macht er Sorgen.
"Viele Leute sind angespannter", sagt etwa Regina. "Ich kenne eigentlich keinen, der beruhigt dasteht und sagt: Naja, das wird schon werden." Regina kommt aus Bayern, sie lebt seit 2002 in London. Sie kenne Leute, die weggegangen sind, sagt sie - "weil die Firma schon weggezogen ist und den Hauptsitz verlagert hat".
Mehr als 300.000 Deutsche leben in Großbritannien, rund 50.000 davon im Großraum London. Anfang März werden es mindestens vier weniger sein, denn Sarah hat beschlossen, mit ihrer Familie wieder nach Deutschland zurückzukehren - nach 17 Jahren Großbritannien. "Weil sich das Land einfach anders anfühlt", sagt sie. Sie sei ein Brexit-Flüchtling. Nach der Abstimmung hätten sie und ihr Mann festgestellt: Vielleicht kennen wir das Land ja doch nicht so gut, wie wir dachten. "Ganz drastisch war für mich, dass plötzlich nach dieser Abstimmung ganz andere Anti-Migrationstöne salonfähig wurden."
"Engländer werden bevorzugt behandelt"
Sarah und ihre Familie gehen erstmal für drei Jahre zurück nach Deutschland. Eine Bekannte von ihr ist sich noch nicht sicher, ob auch sie zum Brexit-Flüchtling wird, aber ausschließen will sie das nicht. Sie arbeitet in einem Krankenhaus südöstlich von London, hier haben 64 Prozent für den Brexit gestimmt. "In dem Café-Geschäft im Krankenhaus zum Beispiel war kurz nach der Abstimmung ganz klar, dass die Engländer bevorzugt behandelt wurden im Vergleich zu Ausländern", erzählt sie. "Man spürt das."
Ihr Mann ist Brite, die Kinder auch, sie selbst hat gerade die britische Staatsbürgerschaft beantragt. Wer bleiben will, der braucht zukünftig entweder einen britischen Pass oder eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung. Seit Ende Januar ist das Portal im Internet freigeschaltet. Rosi aus Sachsen war eine der ersten dort. "Ich habe das am Samstag gemacht, und am Montag kam schon eine Bestätigung von der Regierung", sagt sie.
Seit zweieinhalb Jahren lebt Rosi in London, sie arbeitet als Nanny und möchte gern bleiben, weil auch ihr britischer Freund hier lebt. Aber auch zweieinhalb Jahre nach ihrer Ankunft und zweieinhalb Jahre nach dem Referendum ist immer noch unklar, unter welchen Bedingungen Großbritannien aus der EU ausscheidet. "Es weiß ja im Moment immer noch keiner, was passieren wird", sagt sie. "Das ist eine Ungewissheit, das macht mir auch schon irgendwo Angst."
Berufliche Unsicherheit
Organisiert wird der Entchenclub in Forest Hill von der deutschen Evangelischen Gemeinde in London. Pfarrer Bernd Rapp hat festgestellt, dass der Brexit allgegenwärtig ist als Gesprächsthema in seiner Gemeinde, selbst hier im Entchenclub. "Man sitzt bei Tee und Kaffee zusammen, dann tauschen sich die Leute aus", sagt er. "Das merkt man schon. Sie suchen dann Antworten oder auch ein bisschen Unterstützung."
Die Evangelische Gemeinde hilft dabei, die Anträge für die Aufenthaltsberechtigung auszufüllen. Aber oft liege es gar nicht in den Händen der Familien selbst, wie es weitergehe, sagt Rapp. Vor allem seien Menschen unsicher, die im Moment noch nicht wüssten, wie es beruflich weitergehe - "wie es mit ihrer Firma weitergeht, mit ihrer Arbeitsstelle, ob die hier bleibt oder nicht." Rapp selbst kam kurz nach dem Referendum ins Land. Der Brexit hat ihn seither nicht losgelassen, im Gegenteil. "Die Sorge ist insofern größer geworden, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Fragen nicht klarer geklärt werden in der Zeit."
In der kommenden Woche will Theresa May im Unterhaus sagen, wie es weitergehen soll. Gut möglich ist allerdings, dass es auch dann noch immer keinen klaren Weg für den Austritt Ende nächsten Monats geben und die Unsicherheit auch in der deutschen Gemeinde in London bleiben wird.