Brexit-Verhandlungen Die unterschätzte Deadline
Bis Dezember ist Großbritannien noch Teil des EU-Binnenmarkts. Die Gespräche über das Danach sind festgefahren. Bis heute wäre eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen möglich gewesen, aber die britische Regierung verzichtet.
Am 31. Januar hat Großbritannien formal die Europäische Union verlassen. Seitdem befindet sich das Land im sogenannten Übergangszeitraum, in dem Großbritannien sowohl Teil der Zollunion als auch des Binnenmarkts bleibt. Dieser Übergangszeitraum endet Punkt Mitternacht am 31. Dezember dieses Jahres.
Muss er aber nicht: Das Austrittsabkommen sieht bis zum heutigen 30. Juni die Möglichkeit vor, diese Frist um bis zu zwei Jahre zu verlängern - eine Option, für die sich etwa die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon stark gemacht hatte: So könne man das Risiko eines No-Deals vermeiden und sicherstellen, dass man sich weiterhin darauf konzentriere, Unternehmen durch die Coronakrise zu bringen. "Wir sollten die Herausforderungen für unsere Unternehmen und die Wirtschaft nicht noch schlimmer machen, als sie ohnehin schon sind."
Britische Regierung will keine Fristverlängerung
Dass diese Hoffnung allerdings vergebens war, wurde spätestens am 15. Juni klar. Eine Videokonferenz von Premierminister Boris Johnson mit den Chefs von EU-Kommission, -Parlament und -Rat endete mit dem Hinweis, alle Seiten hätten zur Kenntnis genommen, dass Großbritannien keine Fristverlängerung beantragen wolle.
Der zuständige britische Brexit-Minister Michael Gove brachte die These seiner Regierung kurz zuvor so auf den Punkt: "Wir werden keine Verlängerung beantragen. Das war's - wir verlassen den Übergangszeitraum am 31. Dezember. Das gibt der Wirtschaft Klarheit und Sicherheit." Die Mitteilung gebe Unternehmen die Möglichkeit, sich "angemessen und flexibel" vorzubereiten.
Wirtschaft fürchtet No-Deal-Brexit
Dass die Wirtschaft das ein wenig anders sieht, verdeutlichte die Chefin des Britischen Industrieverbands CBI, Carolyn Fairbairn. "Die Widerstandsfähigkeit der britischen Wirtschaft ist am Boden. Jeder Penny, der für die Folgen des Brexit zur Seite gelegt wurde, all die Lagerbestände, die angelegt wurden - all das ist aufgebraucht." Firmen, mit denen sie spreche, hätten keine Sekunde übrig, um über einen No-Deal-Brexit auch nur nachzudenken.
Die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die zukünftigen Beziehungen stecken allerdings fest. Die bisherigen vier Verhandlungsrunden haben noch keine greifbaren Resultate geliefert. In dieser Woche findet die fünfte Runde der Verhandlungen statt - erstmals wieder mit einer britischen Delegation in Brüssel.
Druck aufbauen
Ob diese Verhandlungen aber zum Ziel führen werden, ist zweifelhaft. Bisher beschuldigen beide Seiten einander, nicht kooperativ genug zu sein. Außerdem ist Druck ein gern genutztes Mittel in solchen Verhandlungen.
Die britische Perspektive fasst der konservative Politiker und enthusiastische Brexit-Befürworter Mark Francois so zusammen: Die EU sei schon einmal eingeknickt und wenn die Briten nur ihre Nerven bewahren könnten, dann werde sie das auch wieder tun. Keine guten Vorbedingungen für die Verhandlungen.