Nach Johnson-Briefen Das Brexit-Chaos geht weiter
Nach den widersprüchlichen Briefen des britischen Premiers Johnson an die EU ist im Brexit-Streit weiterhin alles offen: Wann und ob das Land überhaupt austritt, darüber sind Regierung und Opposition uneinig.
Ein Verwirrspiel: Im ersten Brief, den er nicht handschriftlich unterzeichnet hat, folgt der britische Premierminister Boris Johnson dem Auftrag des Parlaments und beantragt bei der EU eine Verschiebung des Austritts bis zum 31. Januar 2020.
Im zweiten Brief an "Dear Donald", also an EU-Ratspräsident Tusk, und mit eigenhändiger Unterschrift versehen, empfiehlt Johnson dann aber, den britischen Antrag abzulehnen, denn: Eine weitere Verschiebung würde den Interessen der Europäischen Union und Großbritanniens schaden und die britisch-europäischen Beziehungen belasten.
Missachtung des Parlaments
Johnson konterkariert also mit dem zweiten Brief den ersten - die Opposition findet das unmöglich. "Der zweite Brief erscheint mir als Missachtung des Parlaments und unterminiert den eigentlichen Antrag", sagte Labours Schatten-Finanzminister John McDonnell. "Und diesen Antrag nicht einmal zu unterschreiben - da verhält sich der Premierminister wie ein verzogener Rotzbengel."
Johnson bleibt jedenfalls dabei: Er werde das Land am 31. Oktober aus der EU herausführen. Sein Kabinett unterstützt ihn dabei. Außenminister Dominic Raab erklärte, niemand könne den Premierminister zu etwas Anderem zwingen.
Vize-Premier Michael Gove hält eine Verschiebung ebenfalls für ausgeschlossen: "Wir schaffen den 31. Oktober. Wir bekommen bis dahin das Austrittsabkommen durchs Parlament. Auch Abgeordnete, mit denen wir in der Vergangenheit nicht übereingestimmt haben, die aber die demokratische Entscheidung des Volkes respektieren, werden dafür stimmen."
Opposition besteht auf neuem Referendum
Die Opposition sieht das anders. Sie will die Daumenschrauben ansetzen, indem sie den Premierminister mit Änderungsantragen quälen, wenn er das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen morgen erneut ins Unterhaus einbringt und am Tag darauf die Beratungen über die Ausführungsgesetze beginnen.
Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer nannte einige Forderungen, die die Opposition durchsetzen will: "Wir wollen, dass Großbritannien in der Europäischen Zollunion bleibt und sich auch weiter ganz eng an den EU-Binnenmarkt anlehnt. Wir werden auch die Schlupflöcher schließen, die zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einem ungeregelten Austritt führen könnten.
Weiterhin wolle Labour erreichen, dass ein Austrittsabkommen, egal wie es am Ende aussehe, noch einmal dem Volk in einem Referendum vorgelegt werde, so Starmer, "verbunden mit der Frage, ob das Land unter diesen Bedingungen austreten oder doch in der EU bleiben soll".
Erst einmal aber wird sich die Justiz mit Johnsons umstrittenen Briefen beschäftigen. Ein Gericht in Edinburgh wird morgen darüber entscheiden, ob das zweite Schreiben, das das erste inhaltlich konterkariert, rechtmäßig ist.