20 Jahre nach US-Invasion Die Post-Saddam-Generation
Die Hälfte aller Iraker war zu Beginn der US-Invasion vor 20 Jahren noch nicht einmal sechs Jahre alt. Vor allem die jungen Menschen sind die Leidtragenden der Dauerkrise, in der sich das Land befindet.
Zeit totschlagen. Das kann Ibrahim besonders gut. Der 28-Jährige ist diplomierter Ingenieur, spezialisiert auf die Erdöl- und Raffineriebranche. Aber obwohl sein Heimatland Irak eines der wichtigsten Ölförderländer der Erde ist, findet Ibrahim keinen Job.
"Ich schlafe tagsüber, hänge rum, treffe mich mit Freunden im Café. Im staatlichen Bereich gibt es keine Jobs, und die ausländischen Ölkonzerne vergeben ihre Stellen fast nur an ausländische Mitarbeiter, wir kriegen keine Chance. Das ist sehr traurig."
Enttäuschte Hoffnung
Als die US-Amerikaner 2003 in den Irak einmarschierten, war Ibrahim ein kleiner Junge. Er erinnert sich noch gut an die Flugzeuge, berichtet er, an den Klang der Kämpfe. Wie viel Hoffnung die Leute hatten, als Diktator Saddam Hussein gestürzt wurde. Und dann, später: Wie jede Hoffnung enttäuscht wurde.
Wie Ibrahim geht es vielen jungen Menschen im Irak: Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch: Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO hat fast jeder dritte junge Iraker keinen Job. Der Frust ist groß.
Der 28-jährige Ibrahim ist diplomierter Ingenieur und spezialisiert auf die Erdöl- und Raffineriebranche. Aber obwohl der Irak eines der wichtigsten Ölförderländer der Erde ist, findet Ibrahim keinen Job.
Von einer Krise in die nächste
Geprägt von Kriegen und Terror, gefangen zwischen politischen und religiösen Interessengruppen, hochbewaffneten Milizen und dem Einfluss des Iran taumelt der Irak seit Jahrzehnten von einer Krise in die nächste. Erst vor wenigen Monaten wurde der neue irakische Premier al-Sudani vereidigt. Vorangegangen war ein monatelanges, teilweise gewaltsames Tauziehen um die Macht im Staat. Und auch die wirtschaftliche Lage sei äußerst schwierig, so der irakische Analyst Raad Karim.
"Die Wirtschaft hängt weit zurück. Unter Saddam Hussein hatte der Irak eine sozialistische Marktwirtschaft, und nach dem Golfkrieg 2003 gab es nie eine gesteuerte Öffnung zu einer freien Marktwirtschaft, das passierte unkontrolliert", erklärt Karim. "Man verlässt sich zu viel auf die Erdöl-Branche, das Wachstum ist zu langsam. Und die Korruption ist das größte Problem im Land, große Summen verschwinden einfach. Seit 20 Jahren hat es wenig Verbesserungen gegeben."
Die ökonomischen Strukturen im Irak sind veraltet, der Staatssektor ist aufgebläht, die Privatwirtschaft unterentwickelt. Die Elite bereichert sich selbst, die Korruption blüht. Viele sehen die USA als mitschuldig an der Misere. Und die Corona-Pandemie wirkte sich zusätzlich negativ auf die Wirtschaft aus. Viele Menschen leben in Armut. Heute träumen viele Jugendliche von einem Leben im Ausland, wollen auswandern, Hauptsache weg, legal oder illegal.
Junge Iraker sind die Leidtragenden
Die jungen Iraker sind seit Jahren die Leidtragenden der politischen Stagnation. Rund die Hälfte der Bevölkerung des Iraks ist unter 25 Jahren alt. Doch zermürbt zwischen allen Konflikten droht der Irak offenbar sein größtes Potential zu vergessen: Seine Jugend. 2019 gingen viele aus Frust auf die Straße, demonstrierten gegen die politische Elite. Aber die Demonstrationen wurden blutig niedergeschlagen.
In einer unscheinbaren Seitenstraße mitten in Iraks Hauptstadt Bagdad ragt ein modernes schwarz-verglastes Gebäude empor, das nicht so recht in seine etwas heruntergekommene Nachbarschaft passen will. "The station" steht in großen gelben Lettern auf Arabisch über dem Eingang.
Drinnen herrscht reger Betrieb: Junge Leute sitzen an Cafétischen und diskutieren, sind über ihre Laptops gebeugt. "The station" ist so etwas wie eine Haltestelle für die Jugend Bagdads, einer der wenigen Orte, wo sie frei ihre Ideen entwickeln können. In dem Co-Working-Space werden junge Absolventen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, Existenzgründer erhalten Unterstützung.
"Jetzt tut sich hier gerade sehr viel"
Eine Nichtregierungsorganisation gründete "The station" vor fünf Jahren, Zuschüsse kamen unter anderem auch aus Deutschland.
Auch die 28-jährige Mena hat hier einen Schreibtisch. Die studierte Ingenieurin fand keinen Job - und sattelte um: Mena hat ihre eigene kleine Umweltfirma gegründet. Als junge Frau im Irak Existenzgründerin zu sein, sei alles andere als einfach, räumt Mena ein.
"Vor ein paar Jahren hätte niemand im Irak gedacht, dass man aus einem Hobby einen Beruf machen kann, schon gar nicht als Frau", sagt Mena. Mein Traum ist es, die erste Recyclinganlage des Iraks zu gründen. Wir sind ein bisschen später dran als der Rest der Welt. Aber jetzt tut sich hier gerade sehr viel. Das gibt uns jungen Leuten etwas Hoffnung."
Die Ingenieurin Mena fand keinen Job - und gründete stattdessen ihr eigenes Unternehmen. Es tue sich gerade viel im Irak, sagt sie - und das gebe vielen jungen Leuten Hoffnung.
Auch Homam will im Irak bleiben. Wir müssen unser Land aufbauen. Wer, wenn nicht wir, sagt der 26-Jährige. Man müsse die Jugend nur lassen: "Nach der Revolution 2019 hat sich die Jugend im Irak verändert. Wir denken neu. Es gibt eigentlich so viele Chancen. Wir brauchen Veränderung im Land."
Der diplomierte Ingenieur Ibrahim dagegen hat nur ein Ziel: Er will so schnell wie möglich weg aus dem Irak - am liebsten nach Deutschland. Dass es auch dort Probleme gibt, mag er eigentlich nicht hören. Das sei immer noch, als würde man den Himmel mit der Hölle vergleichen, sagt er mit einem traurigen Lächeln. Und schlendert über den Tahrir-Platz von Bagdad davon, um woanders die Zeit totzuschlagen.