Türkische Stadt Antakya Trauer und Buhrufe am Jahrestag der Erdbeben
Um 4.17 Uhr begann die Erde zu beben: Vor genau einem Jahr kam es im Südosten der Türkei und in Nordsyrien zur Katastrophe, etwa 60.000 Menschen starben. Im türkischen Antakya wurde nun der Opfer gedacht - und die Regierung ausgebuht.
Begleitet von lauter Regierungskritik haben sich in der Türkei die verheerenden Erdbeben gejährt. Im Zentrum der weitgehend zerstörten Stadt Antakya versammelten sich am frühen Morgen Tausende Menschen zum gemeinsamen Gedenken und buhten die Regierung des Landes aus - einige Menschen bezeichneten sie als "Mörder". Immer wieder wurde in Sprechchören auch der Rücktritt des Provinzbürgermeisters Lütfü Savas gefordert.
Der Regierung unter Führung der islamisch-konservativen AKP wird vorgeworfen, zu spät Retter und Hilfe in die betroffene Region im Südosten des Landes geschickt zu haben und nun auch den Wiederaufbau in der Provinz Hatay und ihrer Hauptstadt Antakya nur zögerlich voranzutreiben.
Eine Teilnehmerin der Kundgebung sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ignoriere das Leid der Menschen in Hatay. Auch Savas, der der auf Landesebene größten Oppositionspartei CHP angehört, wird Nachlässigkeit vorgeworfen. Erdogan wird heute in der ebenfalls vom Beben getroffenen Provinz Kahramanmaras erwartet.
Viele Menschen fühlen sich alleingelassen
Am frühen Morgen des 6. Februars vor einem Jahr hatte ein Beben der Stärke 7,7 den Südosten der Türkei getroffen, ein weiteres Beben der Stärke 7,6 folgte am Nachmittag desselben Tages. In einer Schweigeminute um 4.17 Uhr Ortszeit - der damalige Zeitpunkt des ersten schweren Bebens - wurde der Opfer gedacht. In der Stadt Antakya riefen Menschen im Chor: "Hört jemand unsere Stimmen?" - diesen Satz riefen auch die Retter, als sie vor einem Jahr tagelang in den Trümmern nach Verschütteten suchten. Heute drückt er aus, dass sich viele Menschen in der Region mit den Folgen der Katastrophe alleingelassen fühlen.
Menschen aus dem ganzen Land waren zum Jahrestag in die Region gereist. Auf den Ruinen zerstörter Gebäude zündeten Menschen Kerzen in Erinnerung an die dort Getöteten an und warfen rote Nelken von einer Brücke in den Fluss Asi, der durch die Stadt fließt. Andere forderten auf Schildern, dass die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik vor Gericht gestellt werden müssten. Die juristische Aufarbeitung der Gründe für die Zehntausenden Toten durch Hunderttausende eingestürzte Gebäude wird immer wieder kritisiert.
Hunderttausende leben in Containern
Noch immer leiden Menschen in den betroffenen Regionen stark unter den Folgen des Bebens. Sie klagen über fehlende Hilfen wie Lebensmittel oder Kleiderspenden. In einem Containerdorf in Karacay erzählen die Bewohner, sie seien abhängig von der Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen. Auch die Wasserversorgung breche immer wieder ab, berichten Menschen aus der Kleinstadt Kirikhan.
In der Türkei sind Behördenangaben zufolge fast 700.000 Menschen in Containern untergebracht. Auch wenn die Regierung offiziell angibt, dass Zeltstädte aufgelöst worden seien, lebt noch eine unbekannte Anzahl von Menschen in Zelten. Jedes dritte Kind, das in der Erdbebenregion in der Türkei obdachlos geworden ist, lebt nach Angaben von Save the Children noch heute in einer Notunterkunft.
Die Kinderrechtsorganisation weist zudem darauf hin, dass sowohl in der Türkei als auch in Syrien viele Kinder mit Ängsten und psychischen Problemen zu kämpfen haben. Wegen der weitreichenden Zerstörung sind zudem viele Menschen in der Region arbeitslos geworden.
Fehlerhaftes Krisenmanagement
Erdogan und seiner Regierung werden unter anderem Fehler beim Krisenmanagement vorgeworfen. Zudem gerieten sogenannte Schwarzbauten in den Fokus, die illegal errichtet und dann später von der Regierung legalisiert worden waren. Erdogans Beliebtheit tat das kaum Abbruch, er wurde im Mai vergangenen Jahres nach 20 Jahren an der Macht als Präsident wiedergewählt.
Vor der Katastrophe abgegebene Prognosen hatten für den Fall eines solchen Szenarios etwa 15.000 Opfer erwartet. Laut Regierung starben 53.000. Die Türkische Ärztevereinigung geht von mindestens doppelt so vielen Toten aus. Genaue Angaben zu den Opfern aus dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Nachbarland Syrien sind schwer zu ermitteln. Unbestätigten Informationen zufolge könnten dort mehr als 6.000 Menschen gestorben sein.