Festnahmen in der Türkei Korruption und Pfusch am Bau?
Unzählige Häuser in der Türkei sind bei den Erdbeben zerstört worden. Viele vermutlich, weil nicht vorschriftsmäßig gebaut wurde. Bauunternehmer wurden bereits festgenommen. Doch viele sehen auch den Staat in der Verantwortung.
Als der Bauunternehmer Mehmet Yasar Coskun am Flughafen Istanbul festgenommen wird, ist er auf dem Weg nach Montenegro, in seinem Gepäck offenbar viel Bargeld. Eine Flucht. Coskun hatte in Antakya die "Rönesans Residenz" gebaut, ein zwölfstöckiges Haus mit Luxuswohnungen. Es ist komplett zusammengestürzt. Und das, obwohl es eigentlich erdbebensicher hätte sein müssen.
Nach dem schweren Erdbeben in Gölcuk von 1999 hatte die Türkei strengere Bauvorschriften erlassen, um bei zukünftigen Erdbeben die Schäden zu verringern. Doch nicht nur Coskuns Luxuskomplex ist jetzt trotzdem ein Trümmerhaufen - unzählige Gebäude sind eingestürzt, obwohl sie angeblich nach den neuen Bauvorschriften gebaut worden sind.
Vizepräsident beschuldigt Bauunternehmer
Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay sieht die Verantwortung dafür bei den Bauunternehmen. Durch schlechte Bauweise sollen sie sich persönlich bereichert haben, auf Kosten der Erdbebensicherheit: "Wir haben im Zusammenhang mit eingestürzten Gebäuden und Todesopfern die Verantwortung von 131 Personen festgestellt. Die Ermittlungsverfahren sind aufgenommen worden und wir werden sie bis zu ihrem Abschluss genauestens verfolgen."
Etwa 45 Bauunternehmer sind bereits festgenommen worden. Das Justizministerium habe in den zehn betroffenen Provinzen Büros eröffnet, um die Erdbebenverbrechen aufzuklären. Die Provinz Hatay an der syrischen Grenze ist vom Beben besonders stark betroffen.
Schauten die Behörden weg?
Der Ingenieur Kemal Dograr ist aus England hergekommen, um seine Familie zu unterstützen, die überlebt hat. Für ihn liegt die Verantwortung nicht nur bei den Bauunternehmern: "Eigentlich waren hier nicht mehr als fünf Stockwerke erlaubt. Doch sie haben einige Stockwerke draufgesetzt, sodass es höher als normal war. Diese ganze Gegend ist bekannt als Erdbebenzone, und trotzdem hat die Stadt es erlaubt, höher als den fünften Stock zu bauen. Jetzt ist alles weg."
Wie Dograr denkt auch die Anwältin Figen Caliskusu. Sie ist eine kritische Stimme und äußert sich immer wieder öffentlich im TV. Dem ARD-Hörfunkstudio Istanbul sagte sie, es sei zu wenig, den Bauunternehmern allein die Schuld zu geben: "Es sind zum Beispiel Hochhäuser auf Verwerfungen gebaut worden. Da muss man sich fragen, warum hat man so etwas eigentlich zugelassen, wer hat den Bauunternehmern grünes Licht gegeben?"
Aktuell heiße es in der Türkei oft, so kurz nach der Erdbebenkatastrophe sei noch nicht die Zeit für politische Kritik. Caliskusu will das nicht gelten lassen, denn die Politik sei mitverantwortlich: "Es existiert ein Dreieck aus Politik, Bürokratie und regierungsnahen Bauunternehmen. Das soll jetzt vertuscht werden. Deswegen geht man gerade ausschließlich gegen Bauherren vor."
Denn Bauherren allein könnten gar nicht mit mangelhaft gebauten Häusern durchkommen, wenn nicht an anderer Stelle weggeschaut würde. Es ist ein schwerer Vorwurf, den Caliskusu erhebt. Doch viele Menschen in der Türkei äußern sich ähnlich, zum Beispiel auf Social Media. Die türkische Opposition sagt, Erdogans Regierung habe in den vergangenen Jahren zu wenig getan, um die Türkei erdbebensicher zu machen.
Unterdessen versuchen immer mehr Bauunternehmer, das Land zu verlassen. Am Sonntag nahm die Polizei am Flughafen Istanbul einen weiteren Unternehmer fest, dessen Häuser in Adiyaman eingestürzt sind. Er wollte mit seiner Frau und viel Bargeld im Gepäck das Land in Richtung Georgien verlassen.