Human Rights Watch Bericht über Hunderte Tötungen an saudischer Grenze
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhebt schwere Vorwürfe gegen saudische Grenzbeamte. Sie sollen Hunderte äthiopische Migranten getötet haben - beim Versuch, vom Jemen aus ins Land zu kommen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet von Hunderten Erschießungen äthiopischer Migranten und Asylsuchender seit März vergangenen Jahres. Saudische Grenzbeamte sollen sie bei dem Versuch getötet haben, die saudisch-jemenitische Grenze zu überqueren. Die Menschen sollen aus nächster Nähe erschossen worden sein - darunter Kinder, wie in dem Bericht zu lesen ist. Auch Sprengwaffen sollen eingesetzt worden sein.
In der Publikation wurde der Zeitraum zwischen März 2022 und Juni 2023 untersucht. Analysen von HRW deuteten darauf hin, dass die Tötungen weiterhin stattfänden. Augenzeugen berichteten der Organisation von Leichenbergen entlang der Migrationsroute.
Offizielle Vertreter Saudi-Arabiens ließen Anfragen der Nachrichtenagentur AFP zu den Vorwürfen bisher unbeantwortet, auch HRW zufolge kam aus Riad keine Antwort.
Bereits im vergangenen Jahr hatten UN-Experten über "besorgniserregende Vorwürfe" berichtet, denen zufolge saudi-arabische Sicherheitskräfte an der Grenze zum Jemen in den ersten Monaten des Jahres 2022 etwa 430 Migranten getötet hätten.
"Sie schießen ununterbrochen"
Den neuen Angaben zufolge stützen sich die Vorwürfe auf 38 Zeugeninterviews sowie Satellitenbilder und in Online-Netzwerken veröffentlichte Aufnahmen. Allein aus den Aussagen gingen mindestens 28 "Vorfälle mit Schusswaffen" hervor - darunter Angriffe mit Mörsergeschossen. Die Vorfälle ereigneten sich HRW zufolge zu einem großen Teil nach einer im April 2022 in Kraft getretenen Waffenruhe im jemenitischen Bürgerkrieg, in dem Saudi-Arabien Kriegspartei ist.
"Wenn die saudischen Sicherheitsbeamten eine Gruppe (Migrantinnen und Migranten) sehen, schießen sie ununterbrochen", sagte eine der Überlebenden den Helferinnen und Helfern. Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation zufolge hätten die saudischen Beamten Hunderte - "möglicherweise Tausende" - Menschen in dem Grenzgebiet getötet.
Asylsuchende und Migranten sagten, die Route zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien sei "voll von Missbrauch" und unter der Kontrolle von Menschenhändlern. Trotz des Bürgerkriegs kommen noch immer Menschen in den Jemen mit dem Ziel, ins benachbarte Saudi-Arabien zu gelangen.
Linken-Abgeordnete fordert Kurswechsel
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger forderte mit dem Blick auf den Bericht einen Kurswechsel der Bundesregierung hinsichtlich der Beziehung zu Saudi-Arabien. "Wer von sich selbst behauptet, feministische Außenpolitik sei wichtig, macht sich unglaubwürdig, wenn man Staaten wie Saudi-Arabien mit Waffen unterstützt, die Menschen barbarisch an ihrer Grenze abschießen", sagte Bünger dem Verlagshaus Table Media.
Insbesondere die 2020 von der Bundesregierung getroffene Entscheidung, erneut saudi-arabische Grenzpolizisten durch die Bundespolizei ausbilden zu lassen, sei "ein großer Fehler" gewesen, so Bünger weiter. Es müsse nun geklärt werden, "ob etwaig von Deutschland ausgebildete Kräfte an den Massenerschießungen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt" gewesen seien. Diese Zusammenarbeit müsse - ebenso wie Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien - eingestellt werden.
Frauen- und Mädchenanteil bei Migration gestiegen
Schätzungen zufolge kommen weit mehr als 90 Prozent der Migrantinnen und Migranten auf der "gefährlichen Ostroute" - vom Horn von Afrika über den Golf von Aden durch den Jemen nach Saudi-Arabien - aus Äthiopien. Dieser Weg wird HRW zufolge auch von Menschen aus Somalia, Eritrea und gelegentlich aus anderen ostafrikanischen Ländern genutzt.
In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen und Mädchen, die auf der Ostroute migrieren, gestiegen. Im Jemen herrscht seit Ende 2014 ein Konflikt zwischen der Regierung, den Huthi-Rebellen und deren Verbündeten. Saudi-Arabien kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthis, die das Land 2014 überrannten und die weite Teile im Norden beherrschen.
Die Vereinten Nationen betrachten den Konflikt im Jemen als eine humanitäre Katastrophe, die das Land an den Rand einer Hungersnot gebracht hat.