IStGH-Ankläger Haftbefehle gegen Netanyahu und Hamas-Anführer beantragt
Der Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanyahu und Verteidigungsminister Gallant sowie gegen drei Hamas-Anführer beantragt.
Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag hat nach eigenen Angaben Haftbefehle für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und dessen Verteidigungsminister Joaw Gallant sowie für die drei Anführer der militant-islamistischen Hamas beantragt.
Ankläger Karim Khan sagte, er glaube, dass Netanyahu, Gallant und die Hamas-Führer Jahia Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, Deif genannt, und Ismail Haniyeh im Zusammenhang mit dem seit mehr als sieben Monaten andauernden Krieg in Nahost für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen und in Israel verantwortlich seien.
"Für Taten muss Rechenschaft abgelegt werden"
Netanyahu und Gallant wird unter anderem vorgeworfen, für das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie für willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein.
Zum israelischen Vorgehen hieß es in einer Erklärung Khans, dass "die Auswirkungen des Einsatzes von Hunger als Methode der Kriegsführung zusammen mit anderen Angriffen und kollektiven Bestrafungen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza akut, sichtbar und weithin bekannt" seien. Dazu gehörten "Unterernährung, Dehydrierung, tiefes Leid und eine wachsende Zahl von Todesfällen unter der palästinensischen Bevölkerung, darunter Babys, andere Kinder und Frauen".
Den Hamas-Führern wirft der Ankläger unter anderem "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Zum Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober, der den Krieg auslöste, sagte er, er habe "die verheerenden Szenen dieser Angriffe und die tiefgreifenden Auswirkungen der skrupellosen Verbrechen, die in den heute eingereichten Anträgen angeführt werden", mit eigenen Augen gesehen.
In Gesprächen mit Überlebenden habe er erfahren, "wie die Liebe innerhalb einer Familie, die tiefsten Bindungen zwischen Eltern und Kindern, verzerrt wurden, um durch kalkulierte Grausamkeit und extreme Gefühllosigkeit unvorstellbaren Schmerz zu verursachen. Für diese Taten muss Rechenschaft abgelegt werden."
Richter müssen nun entscheiden
Ob die beantragten internationalen Haftbefehle erlassen werden, müssen nun die Richter des IStGH entscheiden. Der Chefankläger muss die Haftbefehle bei einem aus drei Richtern bestehenden Voruntersuchungsausschuss beantragen, der durchschnittlich zwei Monate braucht, um die Beweislage zu prüfen und zu entscheiden, ob das Verfahren fortgesetzt werden kann.
Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle auch zu vollstrecken. Doch ist im Falle einer Vollstreckung die Bewegungsfreiheit der Gesuchten stark eingeschränkt.
Denn eine Folge der Haftbefehle wäre, dass alle Vertragsstaaten des Gerichts verpflichtet sind, die Gesuchten festzunehmen und dem Gericht zu übergeben, sobald sie sich in ihrem Land befinden. Zudem vertieft Khans Ankündigung die internationale Isolierung Israels. Israel ist kein Vertragsstaat des IStGH.
Es wird vermutet, dass sich sowohl Sinwar als auch Deif im Gazastreifen versteckt halten, wo sie von Israel gesucht werden. Hanija, der oberste Führer der militant-islamistischen Gruppe, hält sich in Katar auf und reist häufig in der Region.
Scharfe Kritik aus Israel
Israels Präsident Itzchak Herzog wies den Antrag auf Haftbefehl gegen Netanyahu und Gallant als "mehr als empörend" zurück. Jeder Versuch, Parallelen zwischen den Terroristen der Hamas und der demokratisch gewählten Regierung Israels zu ziehen, könne nicht akzeptiert werden.
"Wir werden nicht vergessen, wer diesen Krieg begonnen hat und wer unschuldige Bürger und Familien vergewaltigt, abgeschlachtet, verbrannt, misshandelt und entführt hat", sagte Herzog. "Wir erwarten von allen Führern der freien Welt, dass sie diesen Schritt verurteilen und ihn entschieden ablehnen."
Der Oppostionspolitiker Benny Gantz, mit Netanyahu und Gallant Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, kritisierte Khans Ankündigung scharf und sagte, Israel kämpfe mit einem der strengsten Moralkodizes. Israel verfüge zudem über eine robuste Justiz, die in der Lage sei, gegen sich selbst zu ermitteln.
Das Land führe nach dem von der Hamas verübten Massaker "einen der gerechten Kriege der modernen Geschichte". "Die Haltung des Staatsanwalts, Haftbefehle zu beantragen, ist selbst ein Verbrechen von historischem Ausmaß, an das man sich noch über Generationen hinweg erinnern wird", erklärte Gantz.
Auch der israelische Oppositionsführer Jair Lapid reagiert entrüstet: "Wir können den empörenden Vergleich zwischen Netanyahu und Sinwar nicht akzeptieren, zwischen den Anführern Israels und den Anführern der Hamas", schrieb er auf X.
Hamas fühlt sich ungerecht behandelt
Die Hamas kritisierte ihrerseits die Anträge des Chefanklägers auf Haftbefehle gegen ihre Anführer. "Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen", hieß es in einer Stellungnahme, die von dem Hamas-nahen TV-Sender Al-Aksa verbreitet wurde.
Die Organisation habe das Recht, sich der israelischen Besatzung zu widersetzen und dazu gehöre auch der bewaffnete Widerstand - so die Darstellung der Terrormiliz.