Angehörige von Geiseln, die von der Hamas verschleppt wurden, demonstrieren vor dem israelischen Verteidigungsministerium für die Freilassung ihrer Angehörigen.
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Israel und die Hamas Wie soll der Geisel-Deal ablaufen?

Stand: 23.11.2023 12:51 Uhr

Auf diese Nachricht haben die Menschen im Gazastreifen und die Angehörigen der Geiseln gewartet: Im Krieg zwischen Israel und der Hamas soll es eine Feuerpause und einen Austausch von Geiseln und Gefangenen geben. Was sieht die Übereinkunft vor?

Wie lange soll die Feuerpause dauern?

Israel und die militant-islamistische Hamas haben sich auf eine Waffenruhe von mindestens vier Tagen verständigt. Ursprünglich sollte sie laut israelischen Medien bereits am Donnerstag um 10 Uhr Ortszeit einsetzen, auch Hamas-Führer Mussa Abu Marsuk bestätigte dies anfangs. Während der Waffenruhe sollten nicht nur die Kampfhandlungen eingestellt werden. Israel soll außerdem nach Angaben der Hamas die Flugbewegungen im Süden des Küstenstreifens komplett einstellen und im Norden für sechs Stunden täglich. Die Feuerpause kann aber verlängert werden - auf maximal zehn Tage, schreibt die "Times of Israel".

Wegen noch zu klärender Details zur Freilassung der Geiseln verzögert sich derzeit aber der Beginn der mit der Terrorganisation Hamas vereinbarten Feuerpause. Katar werde nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP, die einen Palästinenser-Vertreter zitiert, am Donnerstag den Beginn bekannt geben.

"Mischung aus Anspannung und Hoffnung", Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, zur Stimmung vor der Feuerpause

tagesschau24, 22.11.2023 18:00 Uhr

Wie viele Geiseln kommen frei?

Nach Angaben der israelischen Regierung sollen zunächst mindestens 50 von der Hamas genommene Geiseln freikommen - das wäre rund ein Fünftel der von der Hamas genommenen Geiseln, deren Zahl sich auf mutmaßlich 240 beläuft. Israelischen Angaben vom Abend zufolge soll dies nicht vor Freitag geschehen.

Im Gegenzug sollen 150 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden. Die Zahl der freigelassenen Geiseln und Häftlinge könnte aber noch steigen.

Welche Geiseln und Häftlinge kommen frei?

Israelischen Medien zufolge soll es sich bei den Geiseln um 30 Kinder, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen handeln. Sie sollen israelische Staatsbürger oder in Israel ansässig sein.

Das israelische Justizministerium veröffentlichte eine Liste von bis zu 300 palästinensischen Häftlingen, die freikommen könnten. Sie gehören demnach der Hamas, dem Islamischen Dschihad, der Fatah und der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) an. Die meisten von ihnen sollen Minderjährige oder Frauen sein. Israelische Medien berichten, dass kein Häftling freigelassen werde, der oder die wegen Mordes verurteilt wurde.

Die Entscheidung darüber, welche palästinensischen Häftlinge freikommen, liegt beim israelischen Kriegskabinett.

Die Freilassung der Geiseln und Häftlinge soll in mehreren Schritten vollzogen werden. In jeder Phase sollen demnach mindestens zehn Geiseln freikommen. Sie sollen über den Grenzübergang Rafah im Süden des Gazastreifens nach Ägypten gebracht und von dort mit dem Hubschrauber nach Israel geflogen werden.

Sobald sie sicher in Israel sind, werden nach und nach die palästinensischen Häftlinge freigelassen. Sie sollen dem Abkommen nach dahin zurückkehren können, wo sie vorher gelebt haben - in den Gazastreifen oder das Westjordanland.

Können weitere Geiseln und Häftlinge freikommen?

Der Kabinettsbeschluss sieht die Möglichkeit einer zweiten Phase des Austausches vor, die nach demselben Muster wie die erste ablaufen könnte. Bedingung ist, dass die Hamas noch einmal schrittweise mindestens 50 Geiseln freilässt. Im Gegenzug würden dann noch einmal 150 palästinensische Häftlinge freikommen.

Die Gesamtzahl der freigelassenen Geiseln würde sich dann auf mindestens 100 belaufen, die der freigelassenen Häftlinge auf 300. Für jede zusätzliche Freilassung von mindestens zehn Geiseln soll es einen weiteren Tag Waffenruhe geben.

Was bedeutet die Feuerpause für die humanitäre Hilfe?

Nach Angaben aus Katar soll in der Feuerpause eine "größere Zahl" von Hilfskonvois in den Gazastreifen gelassen werden und weiterer Treibstoff geliefert werden.

Kann das Abkommen noch scheitern?

Der israelische Kabinettsbeschluss räumt den Angehörigen von Terroropfern die Möglichkeit ein, innerhalb von 24 Stunden gegen die Übereinkunft Einspruch gegen die Freilassung palästinensischer Häftlinge beim Obersten Gericht einzulegen.

Eine Vereinigung von Terroropfern namens Almagor - die nichts mit der Vereinigung der Angehörigen der Geiseln gemein hat - habe bereits angekündigt, bei dem Gericht eine Petition gegen den Deal einzulegen, berichtet die "Times of Israel". Almagor verweise in einem Brief auf frühere Abkommen zum Austausch von Geiseln und kritisiere, die jetzige Übereinkunft beinhalte "dieselben Minen und Überraschungen". Amalgor verlange Auskunft über alle Details der Übereinkunft und Zusicherungen an die Hamas, unter anderem in die Liste der freizulassenden palästinensischen Häftlinge und den Umfang der humanitären Hilfe für den Gazastreifen.

Das Oberste Gericht musste in der Vergangenheit schon einmal über ähnliche Einsprüche gegen einen geplanten Gefangenenaustausch entscheiden. Im Fall des 2006 von der Hamas verschleppten israelischen Soldaten Gilad Shalit wies es die Einsprüche aber zurück. Shalit kam 2011 im Rahmen eines Austausches frei. Israel entließ im Gegenzug 1.027 palästinensische Gefangene aus der Haft. Experten rechnen auch in diesem Fall mit einer entsprechenden Entscheidung des Gerichts.

Der freigelassene israelische Soldat Shalit verlässt im Oktober 2011 einen Armeehubschrauber, der ihn nach Hause zurückgebracht hatte.

2011 kam Gilad Shalit nach rund fünf Jahren Geiselhaft frei. Die damalige Übereinkunft Israels mit der Hamas ist bis heute umstritten.

Wie geht es nach der Feuerpause weiter?

Die israelische Regierung bemüht sich klarzustellen, dass die Kampfhandlungen danach wieder aufgenommen werden, obwohl dann noch mindestens 140 Geiseln in den Händen der Hamas sind. Premier Benjamin Netanyahu unterstrich, dass die israelischen Streitkräfte nach der Feuerpause so lange weiterkämpfen würden, bis alle Ziele erreicht seien, einschließlich der Vernichtung der Hamas. Die Feuerpause sei rein taktisch.

Die Terrororganisation Hamas erklärte, sie habe weiterhin die Finger "am Abzug".

Was sagen die Kritiker?

Einige Kritiker des Deals befürchten, dass Israel dazu aber nicht in der Lage sein werde, weil der internationale Druck auf Israel in der Feuerpause zunehmen werde, die Angriffe einzustellen und die humanitäre Lage in der Region nicht weiter zu verschlimmern.

Andere Kritiker befürchten wiederum, dass die Hamas die Zeit nutzen werde, um sich besser auf neue Angriffe Israels einzustellen - anders ausgedrückt: dass Israel militärisch einen hohen Preis für die Freilassung der Geiseln zahlen werde. Zu diesen Kritikern gehört auch der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der schon zu Wochenbeginn den sich abzeichnenden Deal als ein "Desaster" bezeichnete.

Diese Einschätzung trifft aber auch auf Widerspruch. So vermutet zum Beispiel der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, dass die Feuerpause der israelischen Armee Zeit verschaffe, ihr weiteres Vorgehen im Süden noch genauer zu planen, nach dem der Norden weitgehend unter Kontrolle gebracht worden sei.

Wie reagieren die Angehörigen?

Der Deal ruft bei den Angehörigen gemischte Gefühle hervor, da abzusehen ist, dass eine große Zahl von Verschleppten weiter in den Händen der Hamas bleiben wird - insbesondere israelische Soldaten.

Am Wochenbeginn hatten Angehörige der Geiseln die Regierung bei einem Treffen dazu gedrängt, ihre Bemühungen um eine Freilassung der Verschleppten zu intensivieren. Eine Angehörige sagte nun der Nachrichtenagentur AP, dass das Abkommen die Angehörigen in eine "inhumane" Lage stürze, weil auch nach der Freilassung von maximal etwa 100 Geiseln viele Familien in großer Sorge um die restlichen Geiseln bleiben würden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD Morgenmagazin am 22. November 2023 um 08:38 Uhr.