Südlicher Gazastreifen Israels Armee verlässt Chan Yunis
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben ihre Truppen aus der Stadt Chan Yunis im Süden des Gazastreifens abgezogen. Medien sprechen von einem Ende der großen Bodenoffensive - andere befürchten nun einen Einsatz in der Grenzstadt Rafah.
Nach monatelangen erbitterten Kämpfen gegen die Terrororganisation Hamas hat Israel die meisten Soldatinnen und Soldaten aus dem südlichen Gazastreifen abgezogen. Die 98. Kommandodivision der israelischen Armee habe "am 7. April ihren Einsatz in Chan Yunis beendet" und den Gazastreifen "verlassen, um sich zu erholen und sich auf zukünftige Operationen vorzubereiten", erklärte ein Armeevertreter.
Die 98. Division habe "die Hamas-Brigaden in Chan Yunis zerschlagen und Tausende ihrer Mitglieder getötet", begründete ein Armeevertreter laut einem Bericht der Zeitung "Haaretz" den Schritt. Die Truppen hätten dort "alles getan, was wir konnten". Vor den Kämpfen nach Rafah geflohene Palästinenser könnten demnach nun nach Chan Yunis zurückkehren.
Wende im Krieg - oder Vorbereitung auf Rafah-Offensive?
Erhebliche Truppen verblieben jedoch im Gazastreifen, "und werden die Aktionsfreiheit der israelischen Armee bewahren und ihre Fähigkeiten, präzise Operationen auf der Basis von Geheimdienstinformationen auszuführen", hieß es weiter. Der Abzug umfasse drei Brigaden, nun solle nur noch eine Brigade in dem Küstenstreifen bleiben, berichtete die "Jerusalem Post".
Die USA vermuten in dem Abzug kein Manöver zur Vorbereitung einer neuen Offensive in der Stadt Rafah. Die Reduzierung der Truppenstärke scheine der Erholung und Neugruppierung der Soldaten zu dienen, sagt der Sprecher für nationale Sicherheit in der US-Regierung, John Kirby, dem Sender ABC News.
Israelische Medien deuteten den Abzug jedoch als Ende der großen Bodenoffensive, die am 27. Oktober vergangenen Jahres begonnen hatte. Künftig seien in Chan Yunis nur noch gezielte, punktuelle Einsätze geplant, schrieb die Nachrichtenseite "ynet".
Reaktion auf Hamas-Überfall
Die radikalislamische Hamas hatte den Krieg am 7. Oktober mit ihrem brutalen Überfall auf Israel ausgelöst. Kämpfer der Terrororganisation und weiterer militanter Palästinensergruppen drangen in israelische Orte ein und verübten Massaker an Zivilisten. Sie töteten israelischen Angaben zufolge etwa 1.160 Menschen. Fast 250 Menschen wurden zudem als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Von ihnen werden noch immer etwa 130 festgehalten, mehr als 30 sind mutmaßlich tot.
Als Reaktion auf den Angriff startete Israel einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen, zunächst vor allem im Norden des Palästinensergebietes, dann in der als Hamas-Hochburg geltenden Stadt Chan Yunis. Israel hat nach Militärangaben seit Kriegsbeginn im Gazastreifen rund 32.000 Ziele angegriffen, darunter mehr als 3.600, die während der Kämpfe als Hamas-Standorte entdeckt wurden. Nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei mehr als 33.100 Menschen getötet.
Kriegsziele weiter unerreicht
Erklärte Ziele des Gaza-Kriegs sind laut Israel die Zerstörung der Führung sowie der militärischen Fähigkeiten der Hamas sowie die Freilassung der Geiseln. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu versprach mehrfach den vollständigen Sieg über die Hamas. Diese Ziele sind allerdings bisher nicht erfüllt.
Trotz massiver internationaler Warnungen plant Israel einen militärischen Einsatz in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten, wo sich mehr als eine Million Flüchtlinge drängen. Israel will dort die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen, um ein Wiedererstarken der Terrororganisation nach dem Krieg zu verhindern.
Die Hamas kämpft unter anderem aus einem Hunderte Kilometer langen, weitverzweigten Tunnelsystem unter dem Gazastreifen gegen die israelische Armee. Bislang ist es nicht gelungen, die Hamas-Führung - an der Spitze Jihia al-Sinwar - zu fassen, die in Tunneln im Süden des Gazastreifens vermutet wird. Die Annahme ist, dass Sinwar sich zu seinem eigenen Schutz mit Geiseln umgeben hat und ein Einsatz gegen ihn daher extrem riskant wäre.