40 Jahre Hisbollah Die Speerspitze des Iran
Vor 40 Jahren entstand die Hisbollah im Libanon - als Widerstandsorganisation gegen die israelische Besatzung. Schon damals wurde die Gruppe durch den Iran unterstützt und ist sie dessen regionaler Strippenzieher.
Hupend und johlend ziehen sie mit einem Auto- und Motorroller-Corso über die Corniche, die Küstenstraße von Libanons Hauptstadt Beirut: Dutzende Anhänger der schiitischen Hisbollah. Sie schwenken gelbe Flaggen, recken die Fäuste, zeigen sich siegessicher.
Szenen wie diese spielen sich regelmäßig im Libanon ab, vor allem rund um Wahlen und Jahrestage. Die Hisbollah, deren militärischer Zweig von der EU als Terrororganisation eingestuft wird, gilt als mächtiger Arm des Iran im Libanon - ihre Anhänger schwören ihr bei Großveranstaltungen ewige Treue.
Terrororganisation mit vielen Gesichtern
In einer schmalen Straße in Beirut brüht Ibrahim Ali Wasser in seinem kleinen Teeladen auf. Auf seinem Unterarm prangt eine große Tätowierung - ein riesiges Schwert. Es ist sein Zeichen der Verbundenheit mit der Hisbollah, sagt Ali, der für die Terrororganisation gekämpft hat und jederzeit wieder zu den Waffen greifen würde. Die Hisbollah bedeute alles für ihn, sagt er. "Frag' meine Seele. Die Hisbollah ist innig verbunden mit meiner Seele. Jeden Tag kämpfe ich für die Hisbollah."
Tränen glitzern in Alis Augen - so verbunden fühlt er sich mit der sogenannten Partei Gottes, die als politische Kraft seit den 1990er-Jahren im libanesischen Parlament sitzt. Bis zu den Parlamentswahlen im Mai war sie viele Jahre lang Teil der Regierung - und solange es noch keine neue Regierung gibt, werden die Geschäfte bis auf Weiteres von der alten Regierung fortgeführt. Die Hisbollah hat das Land fest im Griff.
Beobachter sind sich einig: Die Hisbollah hat viele Gesichter. Für Matthew Levitt vom Washington Institute ist sie zum einen eine politische Partei. "Sie ist eine soziale Wohltätigkeitsorganisation, es gibt zivile Einrichtungen. Hisbollah ist eine aktive Miliz, größer und besser bewaffnet als die libanesischen Streitkräfte. Und Hisbollah ist eine Terrororganisation, die im und außerhalb des Libanon Anschläge verübt. Außerdem ist sie eine international agierende kriminelle Organisation."
1982, vor 40 Jahren, entstand die Gruppierung nach eigenen Angaben. Beobachter betonen, dass die Ursprünge unter iranischem Einfluss sogar noch weiter zurückgehen. Zunächst war es eine kleine Truppe von Kämpfern, die von der paramilitärischen Revolutionsgarde des Iran unterstützt wurde und unter anderem das Ziel verfolgte, sich gegen eine israelische Invasion im Libanon zu wehren. Mit ihrer Brutalität und Guerillataktik hatte die Hisbollah Erfolg. In ihrer Rolle als Widerstandsorganisation habe sie lange eine breite Popularität im gesamten Libanon genossen, erklärt Melani Cammett, Professorin und Nahost-Forscherin der Harvard-Universität: "weil sie als beste Verteidigung gegen Israel gesehen wurde, das Teile des Libanon bis 2000 besetzt hielt."
Der israelische Rückzug im Jahr 2000 wird von der Hisbollah bis heute als ultimativer Sieg des Guerillakriegs bezeichnet. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah feiert den Moment bis heute in großen demagogischen Worten: "Im Jahre 2000 endete die Legende von Groß-Israel, Sie sagten uns immer, dass die israelische Armee unbesiegbar ist. Aber die Erfahrung im Libanon zeigt, dass diese Armee zu bezwingen, zu besiegen und zu demütigen ist."
"Hisbollah ist die Speerspitze des Iran"
Im Laufe der Jahre baute die Hisbollah ihre militärische Macht aus: Nach eigenen Angaben verfügt sie über tausende ausgebildete Kämpfer, sowie angeblich über gelenkte Präzisionsraketen und fortschrittliche Drohnen. Zahlreiche Anschläge gehen Beobachtern zufolge auf das Konto der Terrororganisation.
2005 wurde der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri, damals mächtigster sunnitischer Politiker des Landes, durch eine Bombe in Beirut getötet. Ein von den Vereinten Nationen unterstütztes Sondertribunal beschuldigte Hisbollah-Mitglieder, hinter dem Attentat zu stehen - die Hisbollah streitet das ab. Auch für weitere Attentate wurde die Hisbollah verantwortlich gemacht.
Die Nähe zum Iran ist kein Geheimnis: Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah (Mitte) ist in der südlibanesischen Stadt Jaroun auf einem Plakat neben Irans geistigem Oberhaupt Ayatollah Khamenei (links) zu sehen.
Für Matthew Levitt vom Washington Institute ist die Hisbollah die Speerspitze des Iran - die dieser auch zu nutzen weiß: "Wir wissen, dass, wenn die Hisbollah Anschläge verübt hat, das oft nicht aus ihrer Idee heraus kam sondern aus dem Iran." Aus ihrem Bündnis zum Iran machte die Hisbollah nie ein Geheimnis. So erklärte Hisbollah-Chef Nasrallah: "Wir müssen unseren Dank an die islamische Republik im Iran richten, Sie gaben uns Ihre Expertise und Erfahrungen. Sie brachten uns bei, was einen Kampfgeist ausmacht. Sie brachten für uns Opfer und Märtyrer, und sie tun es bis heute noch."
Heute betrachtet Israel die Hisbollah als eine der größten unmittelbaren Bedrohungen und schätzt, dass tausende Raketen aus dem Libanon auf Israel gerichtet sind. Im Sommer schoss das israelische Militär drei unbemannte Flugkörper über dem Mittelmeer ab, die von der Hisbollah gestartet wurden und auf ein Gebiet zielten, in der eine israelische Gasplattform installiert wurde. Die Gasfelder im umstrittenen Grenzgebiet sind der jüngste und aktuell gefährlichste Konfliktpunkt. Israel hat angekündigt, bald mit der Gasförderung beginnen zu wollen - die Hisbollah droht wortreich mit militärischen Konsequenzen.
Entwicklung zu einem regionalen Strippenzieher
Die Hisbollah ist ein regionaler Strippenzieher - die vielleicht umstrittenste Entscheidung war die Entsendung Tausender Kämpfer seit 2013 ins Nachbarland Syrien, um dort die Truppen von Machthaber Assad zu unterstützen. Das Ziel des Iran: Eine Achse von Teheran über Damaskus bis nach Beirut weiterhin sicherzustellen. Das Engagement der Hisbollah in Syrien zementierte Beobachtern zufolge in der gesamten arabischen Welt das Image der Hisbollah als sektiererische schiitische Kraft mit dem Ziel, den Einfluss des Iran zu vergrößern.
Als die Hisbollah beschuldigt wurde, den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen zu helfen, stuften auch mehrere arabische Länder die Hisbollah als Terrororganisation ein.
"Ein Schiff voller Diebe und Hisbollah ist dessen Kapitän"
Innerhalb des Libanon hat die Hisbollah nach wie vor große Macht. Ein ausgeprägtes Wohlfahrtsystem mit eigenen Krankenhäusern und Schulen sichert ihr die Unterstützung vieler Libanesen, vor allem jetzt in Krisenzeiten. Teile des Landes - und auch der Hauptstadt Beirut - werden von der Hisbollah kontrolliert.
In der aktuellen Krise der libanesischen Wirtschaft - eine der schlimmsten der Geschichte - bleibe die Hisbollah ein wichtiger Akteur, erklärt Professorin Cammett: "Und die Finanzkrise hat die Hisbollah fast noch gestärkt, denn die Organisationen, die noch an US-Dollar kommen, sind in einer privilegierten Position. Und sie hat offenbar durchaus Zugang zu frischen Dollars aus verschiedenen Quellen."
Doch als jahrelanger Teil der Regierung gilt die Hisbollah auch als mitschuldig an jahrzehntelanger Korruption und Vetternwirtschaft, die den Libanon ins wirtschaftliche Desaster gestützt hat. Oder, wie der ehemalige hochrangige Hisbollah-Funktionär Sobhi Tufaili sagte: "Man betrügt sich selbst, wenn man die Sache nicht so beschreibt: Die Hisbollah führt ein Schiff der Diebe. Es gibt ein Schiff voller Diebe und die Hisbollah ist dessen Kapitän und Beschützer."
An der Corniche, der Küstenstraße in Libanons Hauptstadt Beirut, spielt ein kleiner Junge mit einem Luftballon - gerade als die Hisbollah-Parade vorbeigezogen ist. "Build your Future" steht auf dem T-Shirt des Kindes - bau dir deine Zukunft. Und aus dieser - sehr unsicheren - Zukunft des Libanon ist die Hisbollah kaum mehr wegzudenken.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand "Viele Jahre lang war die Hisbollah Teil der Regierung." Tatsächlich ist es so, dass die Hisbollah bis zur Wahl im Mai Teil der Regierung war. Bei den Parlamentswahlen am 15.5.22 verlor der Block um die Hisbollah an Stimmen. Noch hat sich keine neue Regierung formiert. Bis dahin ist die alte Regierung vorerst noch geschäftsführend im Amt.