Streit um Gaza-Hilfslieferungen "Wir können der Hamas so etwas nicht geben"
Die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ist dramatisch - Hunderttausende Menschen hungern. Trotzdem fordern einige Israelis ein Ende aller Hilfslieferungen, weil die bei der Hamas landeten.
Noch immer wird im Gazastreifen gekämpft, noch immer sind mehr als 100 Geiseln in den Händen der Hamas und anderer Terrororganisationen - und noch immer verschärft sich die humanitäre Krise. Nach Angaben des Nothilfe-Büros der Vereinten Nationen leiden ungefähr 380.000 Menschen im Gazastreifen an extremem Hunger. Die noch funktionierenden Krankenhäuser können die mehr als 66.000 Verletzten nicht versorgen - auch weil medizinisches Material fehlt. Zwar rollen fast täglich Lastwagen mit Hilfsgütern über die Grenze - doch es sind viel zu wenige, sagen Hilfsorganisationen.
Und doch stehen dort, wo Lkw auf israelischer Seite abgefertigt werden, Hunderte Menschen und protestieren. Der Grenzübergang Kerem Schalom ganz im Süden des Gazastreifens ist militärisches Sperrgebiet, die Polizei blockiert die Straßen. Deshalb sind die Demonstranten durch die Felder gefahren. Das letzte Stück laufen sie zu Fuß. Auch Reut Ben Chaim aus Netivot ist gekommen.
Protest an der Grenze zum Gazastreifen: Reut Ben Chaim am Grenzübergang Kerem Schalom.
Angeblich übernimmt die Hamas die Hilfslieferungen
Jetzt will die Mutter an der Grenze verhindern, dass überhaupt Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen. Normalerweise habe sie kein Problem damit, dass Mehl, Essen oder Medikamente irgendwohin gebracht werden. "Aber mich stört, dass alles, was in den Gazastreifen gelangt, sofort von der Hamas entgegengenommen wird", sagt sie. Die Hamas übernehme die Kontrolle über die Lastwagen. "Das können wir mit unseren eigenen Augen sehen, Videos beweisen es. Aber das können wir nicht akzeptieren. Wir sind im Krieg, sie haben mehr als 130 Geiseln, die unter sehr schweren Bedingungen gehalten werden. Wir können einfach nicht zulassen, dass das geschieht. Sie halten ein Baby fest, einen vierjährigen Jungen, Frauen, Alte, Männer. Wir können der Hamas so etwas nicht geben."
Tatsächlich gibt es Aufnahmen, die bewaffnete Männer auf Lkw mit Hilfsgütern zeigen. Im Gazastreifen gab es vereinzelt Proteste dagegen, dass die Hamas einen Teil der Hilfsgüter abzweigt. Auch die Vereinten Nationen räumen ein, dass es Probleme bei der Verteilung gibt. Das liege aber vor allem an den Kampfhandlungen, heißt es von dort, einige Gebiete im Gazastreifen seien nicht erreichbar. Zudem seien viele UN-Einrichtungen, die für die Verteilung und Versorgung genutzt werden könnten, inzwischen beschädigt oder zerstört worden.
"Sie haben die Hamas gewählt"
Bei denen, die vor dem Grenzübergang protestieren, hält sich das Mitleid mit der Zivilbevölkerung in Gaza in Grenzen. Jonathan Avash, ein junger Mann aus der Nähe von Tel Aviv hat seinen Hund dabei und rechtfertigt den Protest: "Stimmt, es trifft auch die Zivilbevölkerung", sagt er. Aber so etwas passiere, wenn man den Terror anstatt etwas Anderem wähle.
"Sie haben die Hamas gewählt, obwohl sie ganz genau wussten, was die Hamas will. Sie wissen, dass es nicht gegen Israelis, sondern gegen Juden gerichtet ist. Tut mir leid, aber dann müssen sie beim nächsten Mal anders wählen. Hamas, das sind keine Politiker, sie können keine Politik machen. Sie können den Zivilisten nicht helfen. Bis sie nicht unsere Geiseln zurückgeben, sehe ich keinen Grund, ihnen oder den Zivilisten Nahrung zu geben."
Unterschiedliche Meinungen zu den Hilfen
Fragt man offizielle israelische Stellen, kommt derzeit genügend Hilfe in den Gazastreifen - vor allem, seit Israel seinen Grenzübergang in Kerem Schalom für Lastwagen geöffnet hat. Oberst Moshe Tetro koordiniert die Lieferungen. Er sagte vor kurzem: "Die humanitäre Hilfe schließt Nahrung, Wasser, medizinisches Material und Zelte mit ein. Was die Lebensmittel angeht, so gibt es für die nähere Zukunft in Gaza genügend Reserven. Es gibt keinen Mangel an Nahrungsmitteln in Gaza."
Hilfsorganisationen und auch viele Menschen im Gazastreifen sehen das ganz anders. Rund 11.000 Lkw sind nach israelischen Angaben seit dem 7. Oktober über die Grenze gekommen - das sind etwas mehr als 90 Lkw am Tag. Vor dem Krieg waren an normalen Tagen rund 500 LKW in den Gazastreifen gekommen.
An der Grenze in Kerem Schalom wollen sie weiter gegen die Hilfslieferungen protestieren - mindestens, bis die Geiseln befreit sind.