Von der Leyen zu Gaza-Hilfen "Wir sind sehr nahe an der Eröffnung des Korridors"
Von der zyprischen Hafenstadt Larnaka aus sollen künftig Hilfslieferungen in Richtung Gaza starten. EU-Kommissionschefin von der Leyen ist optimistisch, dass die ersten Schiffe schon am Wochenende ablegen können.
Ursula von der Leyen steht am Vormittag auf einer Aussichtsplattform am Hafen von Larnaka im Südosten von Zypern. Die EU-Kommissionschefin läßt sich die Arbeit im Kontrollzentrum erklären. Es handelt sich dabei um einen abgetrennten Bereich im Hafen, den Zypern schon vor längerem für Notlagen eingerichtet hat.
Der zyprische Präsident Nikos Christodoulides begleitet von der Leyen. Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die Besichtigung macht er deutlich: "Seit letztem Oktober ist unser Team damit beschäftigt, einen Seekorridor von Larnaka nach Gaza auszuarbeiten. Wir haben das gemacht, weil wir überzeugt sind, dass Zypern als Mitglied der Europäischen Union im Herzen der Region die moralische Pflicht hat, seinen Beitrag zur Bewältigung der humanitären Krise zu leisten und dabei seine ausgezeichneten Beziehungen zu den Ländern in der Region nutzen kann."
Gazastreifen knapp 400 km entfernt
Der Gazastreifen liegt von Larnaka knapp 400 Kilometer entfernt. Im Januar startete ein erstes Schiff der britischen Marine mit Hilfsgütern für die Menschen im Gaza. Allerdings legte es nicht direkt dort an, sondern im ägyptischen Hafen Port Said. Die Hilfsgüter mussten über den Landweg weitertransportiert werden.
Von der Leyen sagt, sie kenne die Probleme: "Und deshalb haben heute die Republik Zypern, die Europäische Kommission, die Vereinigten Arabischen Emirate und die USA - die natürlich von anderen wichtigen Partnern unterstützt werden - gemeinsam bekannt gegeben, den Seekorridor öffnen zu wollen, um dringend benötigte zusätzliche Mengen an humanitärer Hilfe auf dem Seeweg zu liefern."
Größere Schiffe können Häfen nicht anlaufen
Bis jetzt können größere Schiffe die Häfen im Gazastreifen nicht anlaufen, weil sie dafür nicht genügend Tiefgang bieten. US-Präsident Jo Biden kündigte vergangene Nacht an, man werde einen geeigneten temporären Hafen in Gaza bauen. Aus Washington hieß es allerdings auch, das werde mehrere Wochen dauern.
Von der Leyen drückt dagegen aufs Gas: "Wir sind jetzt sehr nahe an der Eröffnung des Korridors, hoffentlich diesen Samstag beziehungsweise Sonntag." Sie sei sehr froh "zu sehen, dass ein erster Pilotbetrieb heute gestartet wird." Im Hafen von Larnaka liegt die "Open Arms", ein spanisches Schiff einer Hilfsorganisation, das die Strecke testen soll.
Das Vorhaben, den Gazastreifen auch über den Seeweg zu versorgen, wird neben der Europäischen Kommission auch von Deutschland, Griechenland, Italien, den Niederlanden, der Republik Zypern, Großbritannien, den USA und den Arabischen Emiraten unterstützt.
Zypern bemüht sich seit Monaten, Hilfslieferungen per Schiff in den Gazastreifen zu leiten. Weil die Häfen entlang des Gazastreifens keinen ausreichenden Tiefgang für große Schiffe bieten, will das US-Militär zusammen mit internationalen Partnern einen temporären Hafen an der Küste des Palästinensergebiets einrichten. Dort sollen große und mit Hilfsgütern beladene Schiffe andocken können. Die Kapazität soll Hunderte zusätzliche Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag ermöglichen.
Bis der provisorische Hafen errichtet ist, soll es Übergangslösungen geben. Die Hilfslieferungen könnten zum Beispiel vor der Küste auf kleinere Boote umgeladen oder erst einmal nach Israel oder Ägypten transportiert und von dort weitergeleitet werden.
Ladung mit kleinen Booten an Land bringen
Von der Leyen läßt offen, wo genau die Schiffe aus Larnaka anlegen sollen. Offenbar ist geplant, die Ladung vorerst mit kleinen Booten in Gaza an Land zu bringen. Für Israel ist wichtig zu kontrollieren, dass über den Seeweg aus Zypern keine Waffen, Munition oder ähnliches Material an die Hamas gelangen.
Die EU-Kommissionspräsidentin bedankt sich für die tragende Rolle der Regierung in Nikosia. Die hat allerdings noch einen anderen Punkt im Blick. Präsident Christodoulides erklärt, dass im Kontrollzentrum auch der Verkehr von und nach Zypern überwacht werde. "Die Zahl der Migranten aus Syrien und dem Libanon ist in den letzten Monaten konstant gestiegen, was für Zypern äußerst besorgniserregend ist."
Sorge vor mehr Flüchtlingen
Regierungssprecher Giannis Antoniu wird im Vorfeld von von der Leyens Besuch im zyprischen Rundfunk mit Blick auf den Gazastreifen deutlicher: "Wir haben da ein Wort mitzureden", betont er. "Wir sagen es klar und deutlich: Wir werden Schiffe, die Menschen mitbringen, nicht akzeptieren."
Die Angst vor noch mehr Flüchtlingen auf der Mittelmeerinsel ist groß. Außerdem wolle man nicht unterstützen, dass Palästinenser aus dem Gazastreifen vertrieben werden, heißt es auf Zypern. Ursula von der Leyen geht darauf nur indirekt ein. "Sie können sich auf uns verlassen", sagte sie. "Der Seekorridor kann die Flucht der palästinensischen Bevölkerung entscheidend beeinflussen."
Die Hilfsgüter über den Seekorridor sollen die Not lindern, aber auch dazu beitragen, die Menschen im Gazastreifen zu halten.