Razzia bei Memorial in Moskau Wohnungen von Bürgerrechtlern durchsucht
Trotz des Verbots arbeitet die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete russische Organisation Memorial weiter. Nun durchsuchte die Polizei Wohnungen von Mitgliedern und nahm Bürgerrechtler für Vernehmungen mit.
In Moskau hat die russische Polizei die Wohnungen mehrerer führender Bürgerrechtler der im Jahr 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial durchsucht. Das Online-Portal OWD-Info berichtete von Ermittlungen an mindestens sechs Adressen. Die Justiz wirft der Organisation "Rehabilitierung des Nazismus" vor.
Betroffen ist auch der Memorial-Vorsitzende Jan Ratschinski. Er hatte bei der Entgegennahme des Nobelpreises im Dezember Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt. Mehrere Memorial-Angestellte seien für Vernehmungen vorgeladen worden, schrieb die Organisation auf dem Nachrichtendienst Telegram. Sie dürften bislang keine Anwälte hinzuziehen.
Memorial setzt sich für politisch Verfolgte ein
Die international angesehene Menschenrechtsorganisation wurde 2021 auf Anweisung der russischen Behörden aufgelöst, weil sie gegen Gesetze verstoßen haben soll. Memorial lehnte es ab, den umstrittenen Titel "ausländischer Agent" zu tragen.
Memorial sei wahrscheinlich das erste Opfer im Krieg gegen die Ukraine gewesen, erklärte Sergej Kriwenko, Mitglied der Organisation, kurz nach Bekanntgabe des Friedensnobelpreises im Oktober. "Denn die Behörden haben Memorial vor dem Angriff auf die Ukraine geschlossen." Memorial sei die älteste Organisation, es habe sie in der ganzen Zeit des modernen Russlands gegeben. "Wahrscheinlich haben die Behörden angenommen, dass wir dabei stören würden, das Land für den Kampf gegen die Ukraine zu mobilisieren", so der Anwalt. "Und so wurde Memorial dann natürlich geschlossen."
Größte und älteste Menschenrechtsorganisation Russlands
Gegründet wurde Memorial noch zu Sowjet-Zeiten, im Jahr 1989, unter anderen von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow. Sie gilt als die größte und älteste unabhängige Menschenrechtsorganisation in Russland und setzt sich für die Aufarbeitung von politischer Verfolgung und Stalin-Terror in der Sowjetunion und die Rehabilitierung von Betroffenen ein.
Zudem engagieren sich die Mitglieder von Memorial für die Wahrung von Menschenrechten, etwa im Nordkaukausus oder auf der Halbinsel Krim.
Generalstaatsanwaltschaft sieht Nähe zu Extremisten
Die russische Generalstaatsanwaltschaft wirft Memorial vor, durch ihre Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als "Terrorstaat" darzustellen und Lügen über das Land zu verbreiten. Zudem führt die Organisation eine Liste von politischen Gefangenen in Russland. Viele davon stuft Russland als Extremisten ein und beschuldigt Memorial in diesem Zusammenhang, das "Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen" zu unterstützen.
Angebliche "Rehabilitierung des Nazismus"
Anfang des Monats wurde zudem das Verfahren wegen angeblicher "Rehabilitierung des Nazismus" eingeleitet. Das entsprechende Gesetz ist Teil der russischen Geschichtspolitik. Diese zielt darauf ab, unbequeme Aspekte der russischen Geschichte auszublenden.
Bei den aktuellen Ermittlungen gehe es nach Angaben der Behörden um den Verdacht, dass die Organisation in seine Opferlisten auch Menschen aufgenommen habe, die im Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kooperierten.