Urteil des Obersten Gerichts Russlands Menschenrechtsorganisation Memorial vor dem Aus
Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial steht vor dem Aus. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat ihre Auflösung angeordnet. Die Begründung: Die Organisation habe gegen das Gesetz für sogenannte ausländische Agenten verstoßen.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Memorial steht in Russland vor dem Aus. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat ihre Auflösung angeordnet.
Damit folgte das Gericht einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die vor rund einem Monat gefordert hatte, Memorial aufzulösen.
Ein Vorwurf der Staatsanwaltschaft sind wiederholte Verstöße von Memorial gegen das "Gesetz über ausländische Agenten". Als "ausländische Agenten" werden in Russland Organisationen registriert, die zum Beispiel Gelder aus dem Ausland beziehen. Nach dieser Regelung muss sich Memorial in allen Veröffentlichungen als ein solcher "ausländischer Agent" zu erkennen geben. Das habe die Organisation nicht getan. Memorial wird in Russland seit 2016 als "ausländischer Agent" geführt.
Aufarbeitung politischer Verfolgung
Gegründet wurde Memorial noch zu Sowjet-Zeiten, im Jahr 1988. Sie gilt als die größte und älteste unabhängige Menschenrechtsorganisation in Russland und setzt sich für die Aufarbeitung von politischer Verfolgung und Stalin-Terror in der Sowjetunion und die Rehabilitierung von Betroffenen ein.
Zudem engagieren sich die Mitglieder von Memorial für die Wahrung von Menschenrechten, etwa im Nordkaukausus oder auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim.
Generalstaatsanwaltschaft sieht Nähe zu Extremisten
Die russische Generalstaatsanwaltschaft wirft Memorial vor, durch ihre Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als "Terrorstaat" darzustellen und Lügen über das Land zu verbreiten. Zudem führt die Organisation eine Liste von politischen Gefangenen in Russland - fast 350 Namen sind auf dieser Liste erfasst. Viele davon stuft Russland als Extremisten ein und beschuldigt Memorial in diesem Zusammenhang, das "Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen" zu unterstützen.
Memorial kritisiert "politische Entscheidung"
Memorial weist sämtliche Anschuldigungen zurück und will gegen das Urteil des Obersten Gerichts vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgehen. Der Richterspruch sei eine "politische Entscheidung" ohne Rechtsgrundlage mit dem Ziel der "Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repressionen und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst".
Der Pflicht, sich als "ausländischer Agent" auszuweisen, sei die Organisation stets nachgekommen, hieß es von Memorial. Auch die mehrfachen Geldstrafen, die Russland gegen Memorial verhängte, habe die Organisation bezahlt - umgerechnet insgesamt etwa 54.000 Euro. Acht der zehn von der Staatsanwaltschaft in ihrer Klage angeführten Ordnungswidrigkeiten seien zudem verjährt.
Vorgehen wird international verurteilt
Auch international wird das "Ausländische-Agenten-Gesetz" verurteilt. Zuletzt hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Vorgehen gegen die renommierte Einrichtung verurteilt und sich "fassungslos" darüber gezeigt. Unter anderem hatte auch die Stiftung Topographie des Terrors und weitere deutsche Erinnerungsorte und Gedenkstätten ihre Unterstützung für Memorial mit einer Resolution signalisiert. Darin hieß es , Memorial habe "unermüdlich für die Entschädigung von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gekämpft".