Inhaftiert in Russland Noch mehr als 1.300 politische Gefangene
Nach dem spektakulären Gefangenenaustausch ist die Sorge um die noch in Russland eingesperrten politischen Gefangenen groß. Vieles deutet darauf hin, dass Russland weitere Deals will.
"Verbreitung von Falschinformationen über die Russische Föderation", "Verunglimpfung der russischen Streitkräfte", "Hochverrat" - die Liste der Vorwürfe, die Menschen in Russland vor Gericht bringen können, ist lang. Und lang auch ist die Liste mit politischen Gefangenen. Das zeigt zum Beispiel OVD-Info.
Die Nichtregierungsorganisation betreibt eine Internetseite, auf der politisch motivierte Verhaftungen dokumentiert sind. Dmitrij Anissimow, Pressesprecher von OVD-Info, sagte dem ARD-Studio Moskau nach dem spektakulären Gefangenenaustausch vergangene Woche, man begrüße, dass mehrere Menschen freigelassen wurden: "In diesem Zusammenhang halten wir es aber für wichtig, daran zu erinnern, dass in Russland darüber hinaus noch mehr als 1.300 Menschen aus politischen Gründen hinter Gittern sitzen."
Tod nach Hungerstreik
Da ist zum Beispiel der Fall von Pavel K. Der 39-jährige Aktivist landete in Haft wegen der Veröffentlichung angeblich regierungsfeindlicher Materialien. Darunter waren vier Videos auf einem YouTube-Kanal, der fünf Follower hatte. Pavel K. hatte eine Anklage wegen angeblicher "Anstiftung zu terroristischen Aktivitäten" gedroht. Er starb am vergangenen Wochenende wohl in Folge eines Hungerstreiks.
Fälle wie dieser werden im Westen zumeist gar nicht bekannt. In Russland auch nicht. Und wenn doch, dann drohen diese Fälle über Alltagssorgen oder schlichte Ignoranz in Vergessenheit zu geraten.
Antikriegsaktivisten nicht vergessen
Fedor Krascheninnikov, ein Politikwissenschaftler im Exil, sagte vergangene Woche dem oppositionellen Fernsehsender Doschd. "Irgendwo sitzen viele gewöhnliche Antikriegsaktivisten. Sie alle befinden sich in einer schwierigen Lage, und wir dürfen sie keine Minute vergessen. Wir müssen uns und die ganze Welt jeden Tag daran erinnern, dass die Geschichte der Repressionen Wladimir Putins mit diesem freudigen Ereignis leider nicht endete."
Das "freudige Ereignis" vergangene Woche: der Gefangenenaustausch. Noch gibt es über den in Deutschland eine Debatte: War es richtig oder falsch, den sogenannten Tiergartenmörder und zum Beispiel ein wegen Spionage verurteiltes Paar zu tauschen gegen prominente russische Oppositionelle sowie einige US-Bürger und Deutsche?
Ist diese Debatte aber erst einmal verebbt, könnten die vielen anderen politischen Häftlinge in Russland in Vergessenheit geraten. Es könnte aber auch das Gegenteil eintreten, weil Russlands Präsident weitere Gefangenen-Deals will. Darauf deutet Einiges hin: Russlands Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, schrieb auf dem Telegram-Kanal der diplomatischen Vertretung: "Es gibt immer noch Dutzende von Russen in amerikanischen Gefängnissen. (…) Wir werden maximale Anstrengungen unternehmen, um die Befreiung fortzusetzen."
Seine Landsleute seien durch die internationale "Jagd" der US-Geheimdienste auf Russen hinter Gittern gelandet. Und am Wochenende schrieb ebenfalls auf Telegram die russische Ombudsfrau für Gefangene und Menschenrechte, Tatjana Moskalkowa: "Leider sind immer noch in den Ländern des kollektiven Westens viele unserer Landsleute, die wegen verschiedener Anklagen verurteilt wurden. (…) Ich hoffe, dass dieser historische Austausch (vergangene Woche) den Weg für neue humanitäre Aktionen ebnen wird."
Experte: Russland braucht neue Geiseln
Um an diese russischen Häftlinge heranzukommen, bräuchte Russland gegebenenfalls neue westliche Gefangene - oder besser: "Geiseln". Dies sagte vergangene Woche auch der Politikwissenschaftler Andrej Kolesnikow in einem Interview mit der oppositionellen russischen Breakfast-Show auf Youtube: "Auf russischer Seite besteht kein Zweifel daran, dass der Austauschfonds mit neuen Gesichtern aufgefüllt wird."
Fragt sich nur, ob sich die USA oder Deutschland noch einmal auf einen Handel einlassen würden - und um welchen Preis.