Auftragsmörder Krassikow Kaltblütig und professionell
Nun hat der Kreml zugegeben, was lange im Raum stand: Der "Tiergartenmörder" ist Mitglied des Geheimdienstes FSB. Den Mord beging er kaltblütig. Vor Gericht und im Gefängnis verhielt er sich eisern diszipliniert.
Er hatte sich stets unter Kontrolle. Während der Gerichtsverhandlungen zeigte er keine Regungen, auch nicht, als der Richter Videos abspielen ließ, auf denen der Angeklagte mit seiner kleinen Tochter zu sehen war.
Lediglich am Anfang und am Ende des Prozesses im Saal 700 des Gerichtsgebäudes in Berlin-Moabit sagte er wenige Worte, auch wenn ihm der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi anbot, sich selbst zu äußern oder die Tatwaffe anzusehen. Er überließ das Reden seinem Anwalt Robert Unger.
Die Aussage blieb immer die gleiche, wie viele Beweise und Zeugenaussagen auch vor Gericht präsentiert wurden: Nein, er heiße nicht Wadim Krassikow. Nein, mit dem Mord im Kleinen Tiergarten habe er nichts zu tun. Er sei vielmehr Wadim Sokolow, als Tourist in Berlin, festgenommen, als er in einem Busch habe austreten wollen.
Dort am Spreeufer in Moabit nahm seine Mordmission am 23. August 2019 ein jähes Ende, weil ihn zwei junge Männer beim Umziehen beobachtet hatten und mutig genug waren, die Polizei zu rufen. Und weil eine Sondereinsatzgruppe rechtzeitig eintraf, bevor er wenige Sekunden später mit einem E-Roller, als Tourist verkleidet, davonfahren konnte.
Hinrichtung an einem Mittag in Berlin
Die fünf Polizisten mit Maschinenpistolen veranlassten ihn, sich auf den Boden zu legen und zu ergeben, aber erst nachdem er mit einem eiskalt kalkulierenden Blick die Lage abgeschätzt hatte, wie ein Polizist, noch immer beeindruckt, vor Gericht erzählte.
Auch die Zeugen, die den Mord am tschetschenisch-stämmigen Georgier Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten miterleben mussten, sprachen von einem kaltblütig agierenden Täter. Eine Hinrichtung sei es gewesen, wie er auf dem bereits am Boden liegenden Mann zugegangen und ihm mit ausgestreckter rechter Hand noch einmal in den Kopf geschossen habe. Genähert hatte er sich seinem Opfer von hinten auf einem Fahrrad, von dem aus er zwei Schüsse abgegeben hatte.
Professionell vorbereitete Tat
Experten sagen, ein so abgebrüht ausgeführter Mord erfordere umfangreiche Übung im Schießen. Es war nicht Krassikows erster Mord. Einen beging er 2013 in Moskau, ebenfalls von einem Fahrrad aus. An einem weiteren in der russischen Provinz war er beteiligt, wie Ermittlungen und journalistische Recherchen ergaben. Zu weiteren Taten gibt es Vermutungen.
Die wenigen bekannten Lebensdaten Krassikows lassen darauf schließen, dass er nach der Schule eine militärische Laufbahn eingeschlagen hat, womöglich in den Kriegen in Afghanistan und Tschetschenien im Einsatz war, mit der Spezialeinheit Wimpel in Verbindung stand und womöglich ein Auftragsmörder war, der sich für kriminell und politisch motivierte Morde anheuern ließ.
Der Rechercheur Christo Grozev und russische Kollegen fanden anhand von Mobilfunkdaten heraus, dass sich Krassikow in den Wochen vor dem Mord in Gebäuden des Geheimdienstes FSB und der Spezialeinheit Wimpel aufhielt. Offenbar trainierte er dort für die Tat und wurde eingehend gebrieft.
Mittäter frei
Er muss Helfer gehabt haben, die für ihn das Opfer, den Tatort und den Fluchtweg ausspionierten und ihm bereitstellten, was er für die Tat benötigte: das Fahrrad, den E-Roller, Wechselkleidung, ein Messer, weitere Gegenstände und die Pistole, eine Glock 26 mit selbstgebautem Schalldämpfer. Krassikow gelangte ungesehen nach Berlin und wählte auf der Flucht vom Tatort eine Straße, in der es keine Videokameras gab.
Die Mittäter sind bis heute nicht gestellt. Ein Russe konnte ermittelt werden, der zur gleichen Zeit wie Krassikow in St. Petersburg ein Schengen-Visum mit ähnlichen Daten und ebenfalls mit einem Pass ohne biometrische Daten beantragte. Er steht in Verbindung mit weiteren Morden an Tschetschenen in Istanbul. Da Mord nicht verjährt, werden die Ermittlungen nicht eingestellt.
Höflich und gesprächsbereit
Auf eine Festnahme war Krassikow offensichtlich vorbereitet. Gegenüber den Ermittlern und den Justizbeamten verhielt er sich höflich und gesprächsbereit, wie mehrere Zeugen vor Gericht aussagten. Mit einem BKA-Beamten unterhielt er sich vor einem Vorführtermin beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe länger auf Russisch.
Immer hatte er seine Cover-Geschichte des arglosen Touristen parat. Doch ließ er erkennen, dass ihn die Reaktionen auf den Mord interessierten. Ganz wie Russlands Präsident Wladimir Putin sprach er vom Opfer als einem gefährlichen Banditen, der nicht frei in Europa habe herumlaufen dürfen. Als der BKA-Beamte ihn auf Bücher über Geheimagenten ansprach, deutete er an, dass er sich mit der Materie auskennt.
Staatsterrorismus
Trotz aller Professionalität hinterließ er so viele DNA-, Blut- und Schmauchspuren, dass ihm die Ermittler den Mord nachweisen konnten. Nicht klären konnten sie, wer konkret ihm den Mordauftrag gegeben hatte. Doch der Strafsenat mit Richter Arnoldi sah genug Indizien, um von russischem Staatsterrorismus zu sprechen.
Dazu zählte, dass Putin die Tat mehrfach bei öffentlichen Auftritten rechtfertigte und dass die russischen Behörden kaum kooperierten. Weder lieferten sie Beweise, dass der Angeklagte jener Tourist Wadim Sokolow war. Noch belegten sie Behauptungen Putins, wonach das Opfer an Anschlägen in Moskau und anderen russischen Städten beteiligt war. Auch einen Auslieferungsantrag hatten sie nie gestellt, wie Putin gesagt hatte.
Vor und nach dem Urteil harrte Krassikow in Einzelhaft aus. Ein Video zeigt ihn, wie er in einem kleinen Areal des Gefängnisses Berlin-Tegel Runden dreht. Er soll sich mit Sport fitgehalten haben, offenbar in der Erwartung, dass Putin ihn schon herausholen wird. Mehrmals hatte er sich zuversichtlich über Unterstützung aus Russland geäußert. Die Anwaltskosten zahlte dann auch eine staatsnahe russische Organisation, die inhaftierte Russen wie ihn im Ausland unterstützt.
"Mitglied des FSB"
Am 1. August dann hatte sein Ausharren ein Ende. Nach fast fünf Jahren in deutschen Gefängnissen entstieg er am späten Abend als Erster dem Flugzeug, vor dem Putin auf einem roten Teppich wartete. Es folgte eine knappe Umarmung der beiden.
Die russischen Medien gaben sich nicht einmal die Mühe, das Spiel des angeblichen Touristen Sokolow weiterzuspielen, sie nannten ihn bei seinem Namen Krassikow. Wie um noch einmal nachzutreten, gab die Kreml-Administration nun zu, was längst im Raum stand: "Krassikow ist Mitglied des FSB", sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow nun.
Konkret habe er der FSB-Sondereinheit Alpha angehört und habe mit Mitgliedern von Putins Sicherheitspersonal gedient - wie es Recherchen und Zeugenaussagen schon nahegelegt hatten. Passend war FSB-Chef Alexander Bortnikow am Flughafen präsent, ebenso der Leiter des Auslandsgeheimdienstes SWR, Sergej Naryschkin.
Wird Krassikow jemals Reue empfinden? Verfolgen ihn Erinnerungen an die Morde? Zeugenaussagen lassen darauf schließen, dass solche Taten auch bei ihm Spuren hinterlassen - etwa in Form eines übersteigerten Reinheitsbedürfnisses.
Schließlich: Wird Putin ihn in Ruhe mit seiner Familie leben lassen? Krassikow kennt seinen Auftraggeber und weiß sicherlich, wer den Mord in Berlin genehmigt hat. Nach allem, was über das Machtsystem Russlands bekannt ist, wird es sich um Personen im Umfeld Putins handeln.