Einzelhaft in Deutschland Wie lebendig begraben
Einzelhaft soll eine Ausnahme in deutschen Gefängnissen sein. Doch viele Insassen leben Monate oder Jahre in Isolation, im Gefängnis Tegel in einem besonders düsteren Trakt. Anwälte fordern humanere Bedingungen.
23 Stunden am Tag in einer Zelle ohne Fernseher, Internet, Telefon. Nur ein Radio und die Möglichkeit zu lesen. Kein Kontakt zu anderen Häftlingen, kein Besuch. 75 Minuten Ausgang in einem Hof umgeben von Stacheldraht. So beschreibt Rechtsanwalt Robert Unger, wie sein Mandant zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft verbracht habe: "Er ist letztlich vollständig isoliert." Inzwischen wurde der Täter im "Tiergartenmord"-Prozess verurteilt und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.
Die U-Haft verbrachte er im besonders gesicherten Bereich der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel. Der Beschreibung Ungers zufolge ist es ein Ort der Düsterkeit: In das zusätzlich mit einem Stacheldraht umzäunte Gebäude führe eine schwere Holztür "wie aus dem vorletzten Jahrhundert mit Eisen beschlagen". Der Flur dahinter vermittle den Eindruck eines Todestrakts. Mit dem Gefangenen könne man nur durch eine Panzerglasscheibe sprechen. Versetzte Lochbleche links und rechts davon lassen nur Geräusche hindurch.
Unger spricht von "extrem harten Haftbedingungen". Allerdings könne er die Vorsicht verstehen. Würde dem Gefangenen etwas zustoßen, könne dies einen Justizskandal auslösen - mit internationalen Ausmaßen, denn der Verurteilte ist Russe. Unger verweist auf Einschätzungen von Bundesanwaltschaft und JVA, wonach Tschetschenen Racheakte begehen könnten. Opfer des Auftragsmordes 2019 im Berliner Tiergarten war Selimchan Changoschwili, ein Georgier tschetschenischer Abstammung.
Auch einen nachrichtendienstlichen Hinweis auf eine mögliche Vergiftung hatte es gegeben, sowie einen Aktenvermerk, wonach befürchtet wurde, russische Botschaftsmitarbeiter könnten dem Gefangenen bei einem Besuch etwas antun - nach Meinung Ungers "völlig abwegig". Darüber hinaus ging es bei seinem Mandanten aber auch um eine mögliche Gefährdung von Justizangehörigen und Mitgefangenen, weil er als gefährlicher Straftäter eingestuft worden war.
Trotzdem hielt Unger die "Isolationshaft" für zu hart: "Meiner Meinung nach kann das ein Mensch auf Dauer so nicht ertragen." Es müsse auch für einen Gefangenen möglich sein, "ein menschenwürdiges Leben zu führen". Ob der Verurteilte weiter in Einzelhaft sitzt, wollte die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin aus Gründen des Datenschutzes und des Persönlichkeitsrechts nicht angeben. Eine Besichtigung der JVA Tegel lehnte deren Leitung aus Sicherheitsgründen ab.
Jahrzehnte in Einzelhaft
Wenn auch der Fall des "Tiergartenmörders" ein außergewöhnlicher ist, lebt der Verurteilte bei weitem nicht als einziger Gefangener isoliert. Allein in der JVA Tegel wurden 2020 und 2021 nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Justiz neun Insassen länger als 100 Tage in Einzelhaft gehalten. Zur Begründung für diese "Absonderung" genannte Maßnahme verweist sie auf das Berliner Strafvollzugsgesetz, das gemäß § 86 besondere Sicherungsmaßnahmen zulässt, wenn von Gefangenen "die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht".
Als Strafe aufgrund von Regelverstößen darf Einzelhaft laut Strafvollzugsordnung aber nur für längstens vier Wochen verhängt werden. Als besondere Sicherungsmaßnahme ist sie jedoch zeitlich nicht begrenzt. In Extremfällen kann sich dies über Jahre oder gar Jahrzehnte erstrecken. So lebt ein Mann in der JVA Celle seit 18 Jahren abgesondert, ein Insasse in Rosdorf sogar seit 26 Jahren, wie das niedersächsische Justizministerium bestätigte. Fünf weitere Gefangene in Niedersachsen waren mit Stand 29. August länger als ein Jahr in Einzelhaft.
Bundesweit waren es Ende August 2020 zusammen 23 Gefangene und zwei Sicherungsverwahrte. Diese Auskunft erhielt das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (CPT). Es ist beim Europapart angesiedelt und besucht seit 2015 Gefängnisse und andere Einrichtungen mit zwangsweiser Unterbringung.
"Extrem schädigende Auswirkungen"
Das CPT betont, dass Einzelhaft eine "extrem schädigende Auswirkung auf die geistige, körperliche und soziale Gesundheit der Betroffenen haben kann". Der bedeutendste Indikator sei eine "erheblich höhere Suizidrate" im Vergleich zu anderen Gefangenen. Dies werfe eindeutig Fragen in Bezug auf das Verbot von Folter und unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe auf. Außerdem könne Einzelhaft eine "Gelegenheit für gezielte Misshandlungen von Gefangenen schaffen, weit weg von der Aufmerksamkeit anderer Inhaftierter oder Justizvollzugsbeamter".
Ein Mindestmaß an menschlicher Nähe
Das Komitee fordert eine möglichst kurze Dauer von Einzelhaft. Das Haftregime solle so positiv wie möglich ausgestaltet werden. In seinem Bericht vom September empfiehlt das CPT, abgesonderten Häftlingen täglich mindestens zwei Stunden echten zwischenmenschlichen Kontakt sowie sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten möglichst außerhalb ihrer Hafträume zu gewähren.
Umso länger die Absonderung andauere, umso mehr sollten die Betroffenen motiviert werden, sich in die Gefangenengemeinschaft zu integrieren, so das Komitee. Im Fall des seit 26 Jahren in Einzelhaft lebenden Insassen in Rosdorf gelingt das offenbar gut. Der Sicherungsverwahrte darf nach Beschreibung des Komitees mit anderen Gefangenen und mit Anstaltspersonal reden, kochen und Freizeitaktivitäten unternehmen. Auch darf er arbeiten und fünf Mal im Jahr für einige Stunden das Gefängnis verlassen. Das entspricht Angaben des Justizministeriums von Niedersachsen über die Vorgaben für Beschäftigungs- und Kommunikationsmöglichkeiten für abgesondert untergebrachte Häftlinge.
Schwere psychische Störungen
Hingegen verbrachten die Gefangenen, die in Celle und Lübeck längere Zeit abgesondert lebten, üblicherweise 22 Stunden pro Tag allein in ihren Zellen und hatten dem CPT zufolge nur sehr begrenzt zwischenmenschlichen Kontakt. "Besonders besorgniserregend" sei, dass mehrere von ihnen an "schweren und anhaltenden psychischen Störungen litten und in der Justizvollzugsanstalt nicht adäquat versorgt werden konnten".
Die Absonderung sei offensichtlich nicht die passende Antwort auf ihre gesundheitlichen Bedürfnisse und habe wahrscheinlich sogar zu einer Verschlechterung ihres psychischen Zustands beigetragen.
Nach Angaben der beiden Anstaltsleitungen fehlten Kapazitäten für therapeutische Behandlungen in geeigneten Krankenhäusern. Erhebliche Mängel bei der psychiatrischen Betreuung konstatierte das CPT auch für JVAs in Bayreuth und Gelsenkirchen.
Mangel an Personal
Mangel an Personal betrifft viele JVAs. Nach Angaben des Justizsenats in Berlin waren Stand Ende Juli rund 8,5 Prozent der im Justizvollzug vorhandenen Stellen der Stadt unbesetzt. Nachwuchskräftegewinnung, bedarfsgerechte Ausbildung und eine Steigerung der Attraktivität von Tätigkeiten im Vollzugsdienst hätten eine hohe Relevanz. Jedoch führe unter anderem eine unzulängliche Bewerberlage insbesondere bei Medizinern und im IT-Bereich dazu, dass Ausschreibungen erfolglos blieben.
Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, sagt, zwar sei das Personal im Justizvollzug und bei den Staatsanwaltschaften aufgestockt worden. Doch sei dies noch immer weit entfernt von dem Bedarf, der für einen ordnungsgemäßen Ablauf notwendig sei. Bedacht werden müsse der hohe Krankenstand beim Justizvollzugspersonal. Besonders in den Nächten könne man froh sein, wenn in den JVAs nichts passiere.
Knispel verweist auf besondere Anforderungen aufgrund eines hohen Ausländeranteils in den Gefängnissen Berlins. 2019 betrug er 50 Prozent, Menschen aus 97 Staaten saßen ein. Das führt nicht nur zu sprachlichen Problemen, es werden auch Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien in den Strafvollzug getragen. Der Justizsenat von Berlin antwortet dazu, die "Vielfalt aus sozio-kulturellen, ethnischen und religiösen Hintergründen bei den Inhaftierten" bringe es seit jeher mit sich, dass die Mitarbeitenden im Justizvollzug entsprechend sensibilisiert und geschult seien.
Knispel allerdings sagt, die Unterbringung von Gefangenen verschiedener Ethnien gestalte sich mitnichten reibungslos, wobei die Dunkelziffer bei Straftaten in Gefängnissen hoch ist. Bekannt werden jedoch immer wieder größere Auseinandersetzungen in der zu Berlin gehörenden JVA Heidering. Im Juni wurden auch Vollzugsbeamte angegriffen.
Wenn auch Personalmangel ein weit verbreitetes Phänomen ist, so berührt dies im Strafvollzug grundlegende Lebensbedürfnisse von der Sicherheit bis zu Kontakten zu anderen Menschen.