Kremlkritiker Nawalny Putins Angstgegner
Seinen Namen sprach Russlands Präsident Putin nie öffentlich aus, stattdessen bezeichnete er Alexej Nawalny als "diese Person". Der Kremlkritiker galt als Putins gefährlichster innenpolitischer Gegner. Ein Porträt.
Kein russischer Oppositionspolitiker ist Russlands Präsidenten Wladimir Putin je so gefährlich geworden wie Alexej Nawalny. Nun ist er russischen Angaben zufolge in einer Strafkolonie in Sibirien im Alter von 47 Jahren gestorben. Die Ursache ist bislang unbekannt. Nawalnys Tod reiht sich ein in eine Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden.
Nawalny wuchs in der Nähe von Moskau auf. Er machte einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen weiteren in Finanzwesen, arbeitete als Anwalt und verbrachte dank eines Stipendiums einige Zeit in den USA an der Eliteuniversität Yale. Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Staatsapparat unter Putin machte sich der Jurist viele Feinde unter den Mächtigen des Landes.
Berühmt durch charismatische Reden und Internet-Auftritte
Internationale Berühmtheit erlangte Nawalny mit seinen feurigen, regierungskritischen Reden bei den Protesten nach der russischen Parlamentswahl 2011 in Moskau. Nawalny zählte zu den ersten Oppositionellen, die festgenommen wurden. Auf die Frage nach den Gefahren, die eine Konfrontation mit dem Kreml mit sich bringen könnte, sagte er: "Warum sollte ich Angst haben?"
Bekannt wurde Nawalny auch durch Internet-Videos und Blogs. Unermüdlich prangerte er darin die Korruption in der russischen Elite an und beschrieb Russland als ein von "Gaunern und Dieben" regiertes Land.
So kaufte er Aktien russischer Gas- und Ölfirmen und drängte als Teilhaber auf mehr Transparenz. 2013 wurde er wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Eine höhere Instanz verurteilte ihn zur Bewährung.
Kandidatur als Moskauer Oberbürgermeister
Im selben Jahr kandidierte Nawalny für den Posten des Moskauer Oberbürgermeisters und kam auf den zweiten Platz. Nawalnys Anhänger sahen in dem Ergebnis dennoch eine beeindruckende Leistung für einen Mann, der von der Berichterstattung in den staatlichen Medien faktisch ausgeschlossen war.
Nachdem der Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015 in der Nähe des Kreml erschossen worden war, nahm Nawalnys Popularität noch zu. Staatliche Medien ignorierten ihn, doch Nawalny erreichte über das Internet vor allem junge Russinnen und Russen. Auf diese Weise konnte er auch abseits der großen Metropolen ein starkes Netz von Regionalbüros aufbauen.
Es fiel ihm jedoch schwer, mit Menschen außerhalb der Großstädte warm zu werden. Auch stieß er einige Bürgerrechtler vor den Kopf, weil er an ultranationalistischen Demonstrationsmärschen teilgenommen und gegen illegale Einwanderung gewettert hatte. Einige kreideten ihm das als populistischen und nationalistischen Zug an.
Bewundert im Westen
Dennoch wuchs Nawalnys Popularität zunehmend. Nach und nach wurde er zum bekanntesten Gesicht in der gespaltenen russischen Opposition und eine zentrale Galionsfigur der Proteste von noch nie da gewesenem Ausmaß gegen zweifelhafte nationale Wahlergebnisse und den Ausschluss unabhängiger Kandidaten.
Von seinen Hunderttausenden Anhängern wurde Nawalny bewundert, ebenso wie von vielen Politikern und Unterstützern im Westen. Sie sehen in ihm einen mutigen und charismatischen Oppositionspolitiker, der bereit war, alles für ein Land zu riskieren, von dem er glaubte, dass es eines Tages frei sein könnte.
Putin - der "alte Mann in seinem Bunker"
Putin weigerte sich, Nawalnys Namen auszusprechen und nannte ihn in der Öffentlichkeit immer nur "diese Person". Nawalny nahm sich dagegen Putin häufig vor. Während der Corona-Pandemie bezeichnete er den Staatschef als "den alten Mann in seinem Bunker". Seine Mitstreiter filmten mit Drohnen luxuriöse Residenzen von Putin und seinen Staatsbediensteten, und nahmen deren Vermögen unter die Lupe.
Auf Übergriffe von Staatsdienern und körperliche Attacken reagierte Nawalny oft mit Sarkasmus. Nachdem ihm 2017 ein Angreifer grün gefärbtes Desinfektionsmittel ins Gesicht geschleudert und dabei eines seiner Augen schwer geschädigt hatte, scherzte Nawalny in einem Videoblog, man vergleiche ihn schon mit Comicfigur Hulk.
2019 erlitt er in der Haft nach Angaben der Behörden eine allergische Reaktion. Ärzte sprachen dagegen von einer Vergiftung.
Zusammenbruch auf einem Inlandsflug
Ein Jahr später brach er auf einem Inlandsflug zusammen, den er für Oppositionskandidaten organisierte. Zunächst wurde er in Russland behandelt, dann nach Deutschland in die Berliner Charité verlegt. Es wurde eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok festgestellt. Putin wies Vorwürfe zurück, wonach Attentäter des russischen Geheimdienstes FSB involviert waren. "Wenn ihn jemand hätte vergiften wollen, hätten sie ihn erledigt", sagte er.
Nawalny reagierte mit einem Telefonstreich. Er sprach nach eigenen Angaben am Telefon mit einem mutmaßlichen Mitglied einer Gruppe von Offizieren des Inlandsgeheimdienstes FSB, die den Giftanschlag verübt und anschließend versucht haben sollen, ihn zu vertuschen. Das Gespräch veröffentlichte er. Der FSB wies die Aufnahme als Fälschung zurück.
Freiwillige Rückkehr nach Russland
Trotz des Anschlagsverdachts kehrte Nawalny nach seiner Genesung Anfang 2021 freiwillig nach Russland zurück. Vor seiner Rückreise aus Deutschland erläuterte Nawalny, warum er nach Russland zurückwolle, obwohl er wisse, dass ihm die Festnahme drohe:
Russland ist mein Land. Moskau ist meine Stadt. Und ich vermisse es.
In Russland nahmen ihn die Behörden mit der Begründung fest, er habe sich während seiner Behandlung in Deutschland nicht persönlich bei ihnen gemeldet. Nawalny wurde in mehreren Prozessen zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Der Kreml stellt Nawalny als Kriminellen dar, der sich des Betrugs, der Gerichtsmissachtung und des Extremismus schuldig gemacht habe. Nawalny, so hieß es von Seiten russischer Behörden immer wieder, sei ein Handlanger und Unruhestifter des US-Geheimdienstes CIA. Er sei darauf aus gewesen, Russland zu destabilisieren, die Behörden zu stürzen und Moskau in einen gefügigen Vasallenstaat der USA zu verwandeln.
Noch vor wenigen Tagen "lebendig, gesund und lebenslustig"
Doch im sibirischen Straflager galt Nawalny für den Kreml als Ärgernis und Störfaktor - auch weil er vor der angesetzten Präsidentenwahl im März zu Protesten gegen Putin aufrief.
Bis zuletzt gelang es ihm, mit Mut machenden und oft humorvollen Texten an die Öffentlichkeit zu wenden. Seine Auftritte bei Gerichtsverfahren aber lösten immer wieder Entsetzen aus, weil ihm Schwächung und körperlicher Verfall zunehmend anzusehen waren. Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen.
Nun starb der berühmteste politische Gefangene des Landes nach Angaben der Justiz in der sibirischen Strafkolonie. Er sei nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es.
Sollten sich die Angaben über Nawalnys Tod bestätigen, hinterlässt er seine Ehefrau Julia und zwei gemeinsame Kinder.
Mit Informationen von Reuters, AFP, dpa und AP