Enquete-Kommission Afghanistan-Einsatz - eine Mission ohne Plan?
Was lief falsch beim deutschen Einsatz in Afghanistan? Auf diese Frage will die Enquete-Kommission des Bundestags kommende Woche in einem Bericht Antworten geben. Soldaten warten darauf schon lange.
Afghanistan ist heute wieder ein Taliban-Staat. Es ist fest in der Hand jener Islamisten, die das Land beherrschten, als die internationale Gemeinschaft, angeführt von den USA, 2001 mit ihrem Einsatz am Hindukusch begann.
Wie konnte das passieren? "Ich bin wirklich wütend. Und viele meiner Einsatzveteranen sind zornig, dass wir von der Politik keine Antwort bekommen. Bis heute nicht", beklagt der ehemalige Bundeswehr-Soldat Robert Müller.
Er war einer der ersten deutschen Soldaten, die Anfang 2002 an den Hindukusch gesandt wurden. Müller kehrte seelisch schwer verwundet zurück. Bis heute leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Er hätte sich von der Politik wenigstens den Mut zu einer Entschuldigung gewünscht. "Das ist ja ein Vorwurf, den ich noch heute an die Politik mache, dass mir niemand erklärt hat, bevor es losgeht: Was ist eigentlich der politische Wille, dort zu sein?" Es sind Fragen, die sich nicht nur Veteranen wie Müller stellen.
Kaum Expertise, kaum Vorbereitung
Wer Antworten sucht, muss an die Anfänge, an die Wurzeln des Einsatzes zurückzugehen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegen die USA war rasch klar, dass auch Deutschland und die Bundeswehr sich an der Seite des Bündnispartners USA in Afghanistan engagieren würden.
Doch dafür vorbereitet sei niemand gewesen - weder die US-Amerikaner, noch Deutschland oder andere Beteiligte, sagte rückblickend die afghanische Parlamentarierin und Frauenrechtlerin Shukria Barakzai: "Es gab kein Ziel, was für ein Afghanistan sie haben wollten. Es gab keinen Plan, keine Strategie."
Echte Afghanistan-Expertise gab es innerhalb der Bundesregierung damals kaum, bestätigen Diplomaten. Die deutschen Streitkräfte hatten zwar Auslandserfahrung auf dem Balkan gesammelt, waren aber auch damit schon überlastet.
Vom politischen Beschluss der Beteiligung an einer Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) im Dezember 2001 bis zum eigentlichen Einsatz bekamen die Streitkräfte zudem nur eine kurze Vorbereitungsphase.
Mit der Folge, dass man "sozusagen überhastet Rucksäcke und Ähnliches zusammenrafft und ins Einsatzland geht, um dort entsprechende Verantwortung zu tragen", kritisiert rückblickend Carl-Hubertus von Butler im Interview mit dem NDR. Von Butler war Kommandeur des ersten Bundeswehr-Kontingents, das Anfang 2002 in Kabul ankam.
Anfangs hohe Erwartungen
Und dennoch: Der Empfang für die ersten Soldaten war herzlich. Nach dem Sturz der Taliban und den Jahrzehnten des Krieges träumten die Afghanen geradezu euphorisch von einer besseren, friedlicheren Zukunft. Mit entsprechend hohen Erwartungen startete der internationale Einsatz - auch für die Deutschen.
Doch bereits nach wenigen Wochen stürzte ein tragischer Unfall das Bundeswehr-Kontingent mental in ein erstes tiefes Tal. Am 6. März detonierte eine alte russische Rakete, als Soldaten sie zu entschärfen versuchten. "Die fünf Kameraden um mich herum sind irgendwie vorbeigeflogen. Und ich weiß noch, dass ich in einem Feuerball war, durch die Luft geschleudert wurde", erinnert sich Soldat Müller. Ab dem Moment habe er alles in schwarz-weiß und zeitverzögert wahrgenommen. Zwei deutsche und drei dänische Soldaten fielen der Detonation damals zum Opfer.
Ab wann lief was schief?
Lehren aus dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz zu ziehen - so lautete das Versprechen der Politik. Welche Fehler sollten sich bei künftigen Einsätzen keinesfalls wiederholen? Zumindest Teile der Politik suchen nun, das geleistete Versprechen einzulösen und Antworten auf die Frage zu finden, was ab wann genau schief lief am Hindukusch. Die Enquete-Kommission des Bundestags wird kommenden Montag ihren Zwischenbericht dazu vorlegen.
Auch wenn das Schicksal Afghanistans keineswegs von Anfang an besiegelt war - erste Fehler passierten schon früh. Die in Afghanistan mächtigen, aber verhassten "Warlords" wurden als Feinde der Taliban nicht entmachtet, sondern mit politischem Einfluss und mit Geld bedacht. "Man hat halt die Warlords dafür bezahlt, dass sie mit einem selber zusammenarbeiten und sich nicht den Taliban angeschlossen haben", erklärt Ex-Diplomat und Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.
Ein System der Korruption wurde damit nicht nur geduldet, sondern durch westliches Geld gefördert. Versuche der Demokratisierung des Landes scheiterten. Der so viel beschworene deutsche "vernetzte Ansatz", das Ineinandergreifen von Sicherheit durch Militär und Entwicklungshilfe, habe nicht funktioniert, meint Michael Müller, Vorsitzender der Enquete-Kommission des Bundestags.
Die Liste der Unzulänglichkeiten ließe sich fortsetzen: Beim Aufbau der afghanischen Polizei etwa versagte das dafür zuständige Deutschland. Die Zahl der dafür vom Innenministerium entsandten Beamten nennt ein Diplomat "lächerlich".
Aufarbeitung für zukünftige Einsätze
Doch Auslandseinsätze werden bei der Zahl zunehmender Krisen weltweit weiter eine Aufgabe für Deutschland und die Bundeswehr bleiben. "Es wird von Deutschland, der größten Volkswirtschaft in der Mitte Europas, erwartet, dass wir eine Rolle spielen" - so formuliert es der SPD-Außenpolitiker Michael Müller. Politisch, diplomatisch, aber auch militärisch. "Ein Zögern oder ein Wegducken mit der Hoffnung, andere werden schon die Aufgaben erledigen - das wird so nicht mehr funktionieren."
Umso wichtiger sei es, die vergangenen Einsätze aufzuarbeiten. Aus Sicht der Bundeswehr ließe sich hinzufügen: Antworten zu geben und Lehren zu ziehen, ist man gerade denen schuldig, die in Afghanistan ihr Leben ließen oder traumatisiert zurückkehrten. Der Ex-Soldat Robert Müller wartet jedenfalls bis heute auf Antworten von der Politik.