Netanyahu-Regierung 100 Tage im Kampfmodus
Vor 100 Tagen ist die rechte Regierung von Israels Premier Netanyahu mit den Versprechen angetreten, die Sicherheit, wirtschaftliche Lage und außenpolitischen Beziehungen des Landes zu verbessern.
Als Benjamin Netanyahu am 29. Dezember seine erste Rede als neuer israelischer Regierungschef in der Knesset hielt, war die Stimmung aufgeheizt. Parlamentarier der Opposition unterbrachen ihn - und immer wieder musste er, den seine Anhänger "König Bibi" nennen, neu ansetzen.
Netanyahu hatte gerade die rechteste Regierung gebildet, die Israel je hatte. Neben ultrareligiösen hatte er sich auch mit nationalreligiösen Kräften eingelassen. Die Regierungsbildung hatte länger gedauert als gedacht, denn vor allem die rechtsextremen Parteichefs Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich hatten viel Macht und wichtige Posten für sich gefordert.
Viele Ziele - eine übergreifende Mission
Als Netanyahu mit ihnen dann erstmals am Kabinettstisch saß, formulierte er die Hauptziele seiner Regierung, wie er sie sah. Der Iran solle vom Bau einer Atombombe abgehalten und die Sicherheit Israels nach außen erhöht werden. Die innere Sicherheit Israels müsse gestärkt werden. Die hohen Lebenshaltungskosten sollen eingedämmt werden, auch über das Thema Wohnungsbau. Und die Bündnisse in der Region sollen nach dem Vorbild der Abraham Accords ausgebaut werden, vor allem mit Blick auf Saudi-Arabien.
Soweit Benjamin Netanyahu. Doch dass diese Ziele nicht bei allen Koalitionspartnern oberste Priorität genießen, zeigen beispielsweise die Koalitionsvereinbarungen. Dort steht gleich an erster Stelle: "Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle Teile Israels. Die Regierung wird Siedlungen in allen Teilen des Landes fördern und entwickeln, in Galiläa, der Negev-Wüste, auf dem Golan, in Judäa und Samaria."
Mit Judäa und Samaria sind zum Teil von Israel besetzte palästinensische Gebiete gemeint. Der Golan ist von Israel besetzt und annektiert, was völkerrechtlich nicht anerkannt ist.
Die Sicherheit hat sich nicht verbessert - im Gegenteil
Damit war der Ton gesetzt und die Grundlage geschaffen für Beschlüsse wie den Bau von rund 10.000 weiteren Wohneinheiten im Westjordanland und die Legalisierung sogenannter Außenposten.
Die Sicherheit Israels hat sich nicht verbessert, im Gegenteil: Nach einer Reihe von palästinensischen Terroranschlägen auf Israelis und nach israelischen Militäreinsätzen im Westjordanland ist die Zahl der Toten auf beiden Seiten hoch wie lange nicht. Auch die Gewalt durch radikale Siedler auf Palästinenser hat wieder zugenommen. Zuletzt flogen sogar 34 Raketen aus dem südlichen Libanon auf Israel - so einen Beschuss von dort hat es seit 17 Jahren nicht gegeben.
Regionale Beziehungen leiden unter schlechter Sicherheitslage
Auch beim Ausbau der Bündnisse in der Region nach dem Vorbild der Abraham Accords ist Benjamin Netanyahu nicht vorangekommen. Er wollte schon bald nach seinem Amtsantritt nach Saudi-Arabien reisen und eine Annäherung verkünden.
Doch nach den Regierungsbeschlüssen zum Siedlungsbau, einer Reihe von Provokationen, unter anderem durch Itamar Ben Gvirs Besuch auf dem Tempelberg, und der weiteren Eskalation im Konflikt mit den Palästinensern kam die Reise nicht zustande. Schlimmer noch: Saudi-Arabien und ausgerechnet Iran haben nun erste Schritte einer gegenseitigen Annäherung unternommen. Auch das verbessert die Sicherheit Israels nicht.
Auch Justizreform könnte Sicherheit Israels bedrohen
Die meiste Energie hat die Regierung von Beginn an auf die umstrittene Justizreform verwandt, die hunderttausende Israelis auf die Straße gebracht hat. Die Sorgen weiter Teile der israelischen Bevölkerung um die Demokratie in Israel wegen der geplanten Entmachtung des Obersten Gerichtshofes sind ebenfalls ein Problem für die Sicherheit Israels, beispielsweise in den Augen von Verteidigungsminister Yoav Galant.
Denn die Spaltung der Gesellschaft, die die Regierung mit ihrem Kurs vertieft hat, geht auch mitten durch das Militär. Netanyahu hatte Galant wegen seiner Kritik an der Justizreform zunächst entlassen, nun soll er offenbar doch im Amt bleiben.
Wirtschaftliches Klima hat sich verschlechtert
Auch der Plan, die Lebenshaltungskosten für die Israelis zu senken, geht bisher nicht auf. Denn das wirtschaftliche Klima hat sich verschlechtert. Investoren und große Unternehmen haben bereits angekündigt, Geld aus Israel abziehen zu wollen. Andere warten ab, ob die Justizreform wie von der Regierung geplant beschlossen wird.
Die drei großen Rating-Agenturen haben vor einer Absenkung der Ratings gewarnt, sollte die Justiz in Israel geschwächt werden. Denn ein funktionierender Rechtsstaat gilt als positiver Standortfaktor. Der Schekel hat in den letzten Monaten immer mehr an Wert verloren - das treibt die Inflation und erhöht die Preise.
Viel Geld, umgerechnet 255 Millionen Euro im Jahr, ist dagegen für eine neue Nationalgarde eingeplant, die Itamar Ben Gvir direkt unterstellt werden soll. Kritiker sprechen von einer Privatmiliz. Dafür wurden die Etats aller Ministerien pauschal um 1,5 Prozent gekürzt, auch im Verteidigungshaushalt, im Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrsetat.
Partnerschaft mit den USA leidet
Im Ausland hat die Regierung Netanyahu viel Vertrauen verspielt. Bei seinen Antrittsbesuchen in Berlin, Paris oder London musste Israels Premierminister sich die allgemeine Besorgnis über die Justizreform anhören. Viel gravierender aber ist, dass ein Antrittsbesuch in den USA, dem wichtigsten Partner für Israel, immer noch aussteht. Eine Einladung ins Weiße Haus gibt es für Israels Premier weiterhin nicht. Angesichts der historisch wichtigen Partnerschaft zwischen beiden Ländern ist das ein Affront.
So ist von den Zielen, die Benjamin Netanyahu zu Beginn seiner Amtszeit formuliert hatte, nicht viel übrig geblieben. Um Israels Sicherheit steht es schlechter und auch um die Wirtschaft des Landes, die Gesellschaft ist tief gespalten. Außenpolitisch ist es einsam geworden um Benjamin Netanyahu - und innenpolitisch wirkt er schon nach 100 Tagen immer mehr wie ein Getriebener der extremen Koalitionspartner, mit denen er sich eingelassen hat.