Nach hohen Haftstrafen Aus für rechtsradikale US-Milizen?
Die Urteile im Zusammenhang mit dem Kapitol-Sturm haben den rechtsradikalen Milizen in den USA einen schweren Schlag versetzt. Aber sind die Gruppierungen wirklich nachhaltig geschwächt worden?
Die Chefs der "Proud Boys" und Oath Keepers sitzen hinter Gitter. Diese beiden seit dem Sturm auf das US-Kapitol bekannt gewordenen rechtsradikalen Milizen sind so gut wie führungslos. Natürlich würden sie dadurch geschwächt, analysiert Jon Lewis, Extremismusforscher an der George Washington University.
Die Verhaftung, die Anklage und die Verurteilung von Stuart Rhodes von den Oath Keepers und Enrique Tarrio und den anderen Anführern der "Proud Boys" hätten enorme Auswirkungen auf beide Gruppen. Aufgrund ihrer Strukturen seien die Konsequenzen aber unterschiedlich.
Oath Keepers ohne Führung
Größere Folgen habe die 18-jährige Haftstrafe ihres Gründers Stewart Rhodes für die Oath Keeper. Bei ihnen habe Rhodes quasi das alleinige Sagen gehabt. Er hielt die Fäden in der Hand. Seit er festgenommen wurde, seien die Oath Keepers von der Bildfläche nahezu verschwunden.
Auch die "Proud Boys" seien im Moment wohl kaum in der Lage, sich auf nationaler Ebene so zu organisieren wie beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, so Lewis im ARD-Interview. Aber auf lokaler Ebene gebe es Männer, die dort nun eine größere Rolle spielen könnten. Und damit verschiebe sich auch die Bedrohung.
Gefahr eher auf lokaler Ebene
Die Bedrohung bestehe nicht darin, dass es nach der Präsidentschaftswahl 2024 am 6. Januar 2025 eine Massenmobilisierung geben werde. Die Bedrohung entstehe heute auf lokaler Ebene. Sie richte sich gegen Personen, die nicht so geschützt und deshalb leichtere Ziele für die "Proud Boys" seien.
Beim Sturm auf das Kapitol hätten die "Proud Boys" die Speerspitze gebildet, sagt Lewis. Wie viele offizielle Mitglieder, die auch den Eid abgelegt haben, die Miliz hat, ist unklar. Lewis schätzt, landesweit etwa 500, verteilt auf verschieden große Chapter in unterschiedlichen US-Bundesstaaten.
Hohe Haftstrafen "Sieg für Demokratie"
Die Haftstrafen zwischen 15 und 22 Jahren gegen ihren Chef Enrique Tarrio und die drei ranghohen Mitglieder Ethan Nordean, Joseph Biggs und Zachary Rehl, sind nach Einschätzung des Extremismusexperten ein Sieg für die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit. Und die hohen Strafen hätten sicher auch eine abschreckende Wirkung. Lewis spricht von einer "neuen Realität". Die habe dazu geführt, dass viele nun nicht mehr dachten, sie könnten sich so hemmungslos aufführen wie am 6. Januar.
Auch rund um die Aufritte von Ex-Präsident Donald Trump vor Gericht war es ruhig geblieben. Befürchtete gewaltsame Proteste in New York, Miami, Washington oder Atlanta blieben aus. Zweifel daran, dass die "Proud Boys" Trump aber weiterhin unterstützen, hat Jon Lewis nicht. "Ich denke, die 'Proud Boys' haben für sich erkannt, dass der Ex-Präsident ihre beste Chance ist, wieder an Relevanz zu gewinnen."
Trump vermied Distanzierung
Im Präsidentschafts-Wahlkampf 2020 hatte sich Trump geweigert, die rechtsradikalen "Proud Boys" klar zu verurteilen. In einer TV-Debatte mit Joe Biden sagte Trump: "Proud Boys - haltet euch zurück und haltet euch bereit." Tage später erklärte er, er wisse gar nicht, wer die "Proud Boys" seien. Aber die feierten Trump, fühlten sich im Aufwind. Jetzt, drei Jahre später, sind sie deutlich geschwächt.
Aber der Extremismusforscher von der George Washington University warnt: Die grundsätzliche Bedrohung durch inländischen Terrorismus habe nicht abgenommen seit dem 6. Januar 2021. Sie gehe schon lange über einzelne Gruppierungen wie die "Proud Boys", Oath Keepers oder andere rechtsradikale Vereinigungen hinaus.
Keine stringente Strategie gegen Extremisten
Weiße Rassisten oder regierungsfeindliche Extremisten seien oft Einzelpersonen, die sich zum Teil auch online zusammenschlössen. Besorgniserregend sei, dass die US-Regierung keine Strategie dagegen zu haben scheine, so Lewis.
Die Demokraten im US-Heimatschutz-Ausschuss des Senats hatten im Juni in einem über 100 Seiten langen Bericht kritisiert, dass die US-Geheimdienste die Gefahr von Terrorismus im eigenen Land nach wie vor nicht ausreichend im Auge hätten.
Nach Angaben von Jon Lewis besteht kein Zweifel daran, Rechtsextremismus, insbesondere der Extremismus der weißen Rassisten, derzeit die tödlichste und am weitesten verbreitete Bedrohung durch inländischen Terrorismus in den USA darstelle.