Nach McCarthy-Absetzung als Speaker "Es herrscht großer Unmut in der Partei"
Der Speaker des Repräsentantenhauses, McCarthy, ist abgewählt. Der Unmut sei groß - auch innerhalb der republikanischen Partei, erklärt US-Expertin Claudia Brühwiler im Interview.
tagesschau.de: Was gerade in den USA passiert, ist ein historischer Moment. Wenn der Posten des Speakers nicht besetzt ist, ist die Kammer des Kongresses ja praktisch handlungsunfähig. Wie wirkt sich das auf die Politik aus?
Claudia Brühwiler: Es ist tatsächlich so, dass der sogenannte Speaker pro Tempore, also der aktuelle Ersatz für Kevin McCarthy, der Republikaner Patrick McHenry, nichts weiter tun kann als die Kammer vertagen zu lassen. So kann er dann die Nominierung eines neuen Speakers ankündigen und die entsprechenden Wahlen organisieren.
McHenry hat bereits angekündigt, dass er am kommenden Dienstag die ersten Kandidaten anhören möchte, die auf McCarthy folgen könnten. Idealerweise soll dann bereits am Mittwoch darüber abgestimmt werden.
"McCarthy hatte sich den Schleudersitz präpariert"
tagesschau.de: Das heißt, bis dahin ist der Kongress erst einmal lahmgelegt. Was sagt es denn dann über das politische System in den USA aus? Ist es da nicht etwas dysfunktional?
Brühwiler: Es sagt weniger etwas über das System an sich aus als über den Zustand der Republikanischen Partei. McCarthy musste große Kompromisse eingehen, als er sich im Januar zum Speaker wählen ließ.
Er stimmte nach 15 Wahlgängen zu, dass man mit nur einer Stimme, der sogenannten 'motion to vacate the speaker seat' den Speaker abwählen kann und er den Platz räumen muss. Weil McCarthy diesem Vorgehen zustimmte, hat er sich eigentlich seinen eigenen Schleudersitz präpariert.
Nun gibt es bereits Stimmen, die sagen, dass man so nicht einen neuen Speaker finden wird, weil sich niemand auf so einen Deal einlassen möchte.
Uneinigkeit innerhalb der Republikaner
tagesschau.de: Blicken wir noch mal auf die Republikaner als Einheit. Was sagt es denn über die Partei aus, wenn Leute einen aus dem eigenen Lager so schnell fallen lassen?
Brühwiler: Ja, und dazu auch noch so einfach. Es brauchte ja nur acht Republikaner, die sich gegen ihn gestellt haben und dazu natürlich noch die Demokraten, die auch geschlossen gegen ihn gestimmt haben. Auch die Demokraten haben hier nicht die Hand angeboten, damit McCarthy hätte länger im Amt bleiben können. Man sieht bei den Republikanern eine große Uneinigkeit, vor allem am rechten Rand. Hinzu kommt eine Unwilligkeit, eine Hand anzubieten - zum Wohle der Partei und schließlich auch zum Wohle des Landes.
Matt Gaetz, der Rädelsführer war in dieser Angelegenheit, scheint es in erster Linie um seine eigene Agenda zu gehen. Da blickt er persönlich auf das Jahr 2026, wenn er möglicherweise als Gouverneur für Florida kandidieren kann.
"Konservative müde ob der 'Heckenschützen'"
tagesschau.de: Matt Gaetz hat sich jetzt als Hardliner durchgesetzt. Kann man jetzt daraus auch vielleicht schließen, dass die konservativen Republikaner noch mehr nach rechts rücken?
Brühwiler: Nein, ich glaube, das kann man noch nicht daraus schließen. Immerhin herrscht jetzt auch ein großer Unmut in der Partei. Selbst eine Marjorie Taylor-Greene, republikanische Abgeordnete aus Georgia, der man eine Nähe zu QAnon-Verschwörungstheorie nachsagt, betont von sich aus, man würde keinen besseren Speaker finden als McCarthy.
Das deutet doch darauf hin, dass man auch im konservativen Lager müde dieser 'Heckenschützen' ist, und dass man eigentlich gerne konstruktivere Politik betreiben will. Gerade in einem Jahr, in dem man auf die Wahlen zugeht und man eigentlich den Amerikanern zeigen müsste, dass man lösungsorientiert arbeiten kann.
"Mittel für Ukraine gehen zur Neige"
tagesschau.de: Ein neuer Staatshaushalt müsste ja eigentlich in wenigen Wochen beschlossen werden. Wie wirkt sich die Absetzung des Speakers nun auf globaler Ebene aus?
Brühwiler: Auf globaler Ebene muss uns vor allem Sorge bereiten, dass im Budget-Kompromiss, den McCarthy am Wochenende geschlossen hatte, die Ukrainehilfe nicht mit drin war. Ein Paket von sechs Milliarden US-Dollar wurde gestrichen. Im Moment gibt es natürlich noch Mittel für die Ukraine, aber die gehen zur Neige.
Und man würde sich doch wünschen, dass im neuen Budget, das ja nach Ablauf des Übergangsbudgets am 17. November stehen muss, die Ukraine wieder einen Posten einnimmt. Aber im Moment fokussieren wir uns auf die Wahl eines neuen Speakers.
Und hier wird wichtig sein zu sehen, welche Art von Person diese Rolle übernehmen wird und welche Kompromisse vielleicht der rechte Rand doch noch eingeht, um überhaupt zu ermöglichen, dass man einen Speaker findet.
Das Gespräch führte Damla Hekimoğlu für tagesschau24.