US-Abtreibungsrecht Viel Empörung über Oberstes Gericht
Seit bekannt wurde, dass das Oberste US-Gericht erwägt, das Recht auf Abtreibung zu kippen, laufen dessen Verfechter Sturm. US-Präsident Biden erklärte, zur Not müsse man dieses Recht durch den Kongress garantieren.
"Unsere Körper, unsere Entscheidung", rufen die Demonstranten in die Fernsehkameras: Obwohl das Urteil nicht offiziell und die jetzt durchgesteckte erste Fassung vom Februar nicht die letzte sein muss, versammelten sich noch in der Nacht Hunderte Menschen vor dem Supreme Court in Washington. Ein paar, um das mögliche Ende des umstrittenen Grundsatzurteils zur Abtreibung zu feiern. Die meisten aber, vor allem junge Frauen, um ihrer Wut und Angst Luft zu machen.
"Sie werden damit nicht durchkommen, sie werden das Amerika nicht antun, sie werden das DC nicht antun. Wir sind mehr als die, und wir werden kämpfen", sagt eine Frau mit langen schwarzen Rastazöpfen. Ein junger Mann dagegen meint: "Sieht so aus, als ob es endlich Gerechtigkeit gibt für das ungeborene Leben."
Ende des Rechts auf Abtreibung?
An der Echtheit des jetzt an das Politmagazin "Politico" durchgestochenen Dokuments gibt es keine Zweifel, weil der Vorsitzende des Gerichtshofs, John Roberts, sie bestätigte. Der konservative Richter Sam Alito erklärt darin klipp und klar, es gebe in der Verfassung kein verankertes Recht auf Abtreibung, auch nicht implizit. Und deshalb sei die Entscheidung seiner Vorgänger von 1973 "von Anfang an unerhört falsch gewesen". Laut "Politico" sieht es eine knappe Mehrheit - insgesamt fünf der neun Richter - genauso.
"Ich musste beim ersten Lesen auch erstmal inne halten“, sagt "Politico"-Reporter Josh Gerstein, der die Exklusiv-Geschichte ausgegraben hatte, bei CNN. Schließlich würde damit das geltende Urteil der letzten 50 Jahre ausgehebelt - und damit das zumindest theoretische Recht auf Abtreibung für alle Frauen in allen Bundesstaaten.
"Blanke Brutalität im Urteil"
Dass der Oberste Gerichtshof, in dem seit der Trump-Präsidentschaft konservative Richter in der Mehrheit sind, das Abtreibungsrecht stark einschränken oder gar kippen können, überrascht die prominente Frauenrechtlerin Cecile Richards nicht. Bei MSNBC sagt sie: "Auch wenn ich intellektuell darauf vorbereitet war, bin ich verzweifelt. Allein über diese blanke Brutalität im Urteil. Dass man bereit ist, die Rechte von Frauen einzuschränken, nur für die eigene politische Meinung, macht mich krank."
Steve Aiden, Chef der einflussreichen Abtreibungsgegner-Vereinigung "Americans United for Life" dagegen freut sich: Jetzt aber müssten sich die Landesparlamente schnell daran machen, starke Gesetze zu erlassen, um das Recht auf Leben in ihren Bundesstaaten zu schützen, sagt er.
Biden lehnt Vorstoß ab
26 konservativ-regierte Bundesstaaten planen schon jetzt, Abtreibungen teilweise oder ganz zu verbieten. 13 von ihnen, darunter Staaten wie Texas und South Dakota, haben die entsprechenden Gesetze schon verabschiedet. Einige weitere wollen sie in Kraft setzen, sobald das Urteil endgültig ist.
Der Supreme Court selbst kommentierte das Papier inhaltlich nicht, sondern erklärte lediglich, man wolle nun schnell herausfinden, wie es zu dem Leck kommen konnte.
Wenig erfreut über den Vorstoß ist US-Präsident Joe Biden. Er erklärte in einem schriftlichen Statement, er sei nach wie vor für das Recht von Frauen, selbst zu entscheiden. Sollte der Supreme Court bislang geltendes Recht abschaffen, dann müsse dieses Recht eben per Gesetz durch den Kongress verankert werden. So ein Gesetz werde er gerne unterschreiben, so Biden.
Vertrauen in das Oberste Gericht beschädigt
In einem sind sich Politiker von Demokraten und Republikanern selten einig: Die Veröffentlichung selbst ist ein Tabubruch und dürfte das ohnehin geringe Vertrauen der Amerikaner in ihr Oberstes Gericht weiter erschüttern. Richter Alito sah das vor seiner Vereidigung übrigens einst genauso: "Wenn man Roe gegen Wade unter Druck kippt, untergräbt man damit die Legitimität des Gerichts", sagte Alito damals. Mit dem Grundsatzurteil "Roe v. Wade" hatte der Supreme Court 1973 ein Grundrecht auf Abtreibungen verankert.
Nach bisherigem Zeitplan will der Supreme Court seine endgültige Entscheidung frühestens Ende Juni verkünden.