Ukraine-Krieg und die UN Wie Deutschlands Stimme an Gewicht gewann
Noch kurz vor dem Beginn des Ukraine-Krieges versuchten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, Russland von der Invasion abzuhalten. Deutschlands Botschafterin Leendertse erinnert sich an die dramatischen Stunden.
Es war dieser Zettel, der die Runde machte. Die stille Post inmitten der lauten Appelle. Nie wird Deutschlands UN-Botschafterin Antje Leendertse den Augenblick am Abend des 23. Februar vergessen, als sie die Notiz ihres Kollegen erreichte: Raketeneinschläge in Kiew.
Die deutsche Gesandte saß damals als Gast in einer Sondersitzung des Sicherheitsrats. Ein letzter Versuch, den Krieg zu verhindern, wird zum unvergesslichen Moment: "Wir haben die Sitzung begonnen, als der Krieg noch nicht angefangen hatte, und wir haben sie beendet, als der Krieg angefangen hatte", erzählt sie.
Redebeiträge mussten geändert werden
Aus Hoffnung wurde Fassungslosigkeit. Während die Mitglieder um den runden Tisch des Rates noch an Russland appellierten, ließ Präsident Wladimir Putin erste Raketen starten. Der ukrainische UN-Botschafter Sergiy Kyslytsya starrte bleich auf sein Handy. In seiner Heimat begann der 24. Februar und eine neue Zeit.
"Wir haben um 21 Uhr angefangen, das ist dann etwa drei Uhr nachts, und ab vier Uhr nachts hatte man dann schon eindeutige Meldungen, und es kursierten Zettel", sagt Leendertse. Nicht nur sie musste ihren bevorstehenden Redebeitrag schnell ändern.
Alle Appelle an Russland zu Sitzungsbeginn, den Frieden zu wahren, nicht einzumarschieren, keine Invasion und keine aggressiven Handlungen zu unternehmen, mussten zum Schluss umgewandelt werden in Aufforderungen, den Krieg jetzt wieder zu stoppen, erzählt Deutschlands UN-Botschafterin.
Starke Stimme im Sicherheitsrat
Es wird fortan die zentrale Botschaft der Unterstützer der Ukraine. Obwohl Deutschland gerade kein Mitglied im Sicherheitsrat ist, hat es dort seit Kriegsbeginn eine starke Stimme. Vierzehn Mal sprechen Leendertse und ihr Stellvertreter Thomas Zahneisen seit Kriegsausbruch vor dem mächtigsten UN-Gremium.
Auch an allen Sitzungen der Notstands-Generalversammlung nehmen sie teil. "Wir haben uns natürlich auch eingebracht, was die Resolutionen betrifft, die dann in diesen Sitzungen verabschiedet worden sind, teilweise mit überwältigender Mehrheit zur Verurteilung des Krieges", sagt Leendertse.
Kampf gegen russische Propaganda
Dass Deutschland so oft auf der Bühne des Rates ist, liegt auch daran, dass es stark am vorangegangenen Minsker Abkommen zwischen den Kriegsparteien beteiligt war. "Aber seitdem hat es ja viele Sitzungen gegeben, wo auch andere Europäer gesprochen haben", sagt Leendertse.
Das sei wichtig gewesen, um dem Narrativ des Kreml entgegenzutreten, dass es eigentlich um einen Konflikt mit dem Westen gehen würde, erklärt die Botschafterin. Demnach seien die Europäer nur die unmündigen Vasallen der USA, die folgen würden.
Nach Ansicht Russlands seien daher alle Äußerungen der Europäer irrelevant, fasst Leendertse die russische Propaganda zusammen. Doch die Europäer hätten klargemachten: Dem ist nicht so.
"Wollen Politik auf Augenhöhe"
"Wir sind hier keine zusätzlichen Stimmen, sondern wir sind vielleicht diejenigen, die sogar für die Menschen in Russland glaubwürdiger sind als die der ständigen Mitglieder", sagt Leendertse. Eindruck habe auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock gemacht, als sie im März - kurz nach Kriegsbeginn - vor der Vollversammlung sprach.
Sie sei da gewesen, um die russische Aggression zu verurteilen, erzählt Leendertse. "Und gleichzeitig zu sagen: Wir wollen eine Politik auf Augenhöhe mit denen, die außerhalb der Ukraine betroffen sind, und wir wollen uns gegenseitig zuhören."
Ein wichtiges Thema sei damals die Ernährungssicherheit gewesen. Genau darum geht es vielen Ländern des globalen Südens auch weiterhin. Sie sorgen sich darum, dass der Krieg ihre Bedürfnisse in den Schatten stellt.
141 Staaten verurteilten Russlands Invasion
Die Antikriegsallianz kam trotzdem zusammen. Am 2. März verurteilten 141 UN-Mitgliedstaaten in der ersten Notstandssondersitzung der Vollversammlung die russische Aggression. Für die deutsche Botschafterin Leendertse einer der bewegendsten Momente im vergangenen Jahr.
"Die EU hat dort Spielzeuge und Plüschtiere in Erinnerung an die Kinder, die der ersten Angriffe zum Opfer gefallen sind, auf unsere Tische gestellt. Und das ist mir schon sehr in Erinnerung geblieben, was für eine Symbolwirkung das hatte."
Es habe allen vor Augen geführt, dass es nicht nur um Zahlen oder die UN-Charta geht, sondern, dass auch viele Kinder Opfer dieses Krieges sind und Menschen unter ihm leiden.