Folgen der Pandemie Die Corona-Waisen von Peru
Weil Peru eine der höchsten Corona-Sterblichkeitsraten der Welt aufweist, leben in dem Andenstaat seit der Pandemie viele Waisen. Sie sind traumatisiert und auf die Hilfe von Verwandten angewiesen.
Milagros, José Luis, Santos und Kiara sitzen auf dem nackten Steinboden um ein Brettspiel herum. Sie lachen. Es ist einer der wenigen Momente, an denen die vier Geschwister unbeschwert wirken. Denn ihr Schicksal ist dramatisch, seit ihre Mutter an Covid-19 erkrankt war. Seitdem leben die acht Kinder bei ihrer Tante Gabriela, in einem winzigen Haus mit Steinboden am Stadtrand von Perus Hauptstadt Lima.
Gabriela Zarate lässt ihre Nichten und Neffen nicht draußen vor dem Haus spielen. "Das wäre viel zu gefährlich. Es gibt in unserem Viertel Villa El Salvador Kriminelle, die Kinder entführen", erklärt die 30-Jährige. "Ich muss die Kleinen durchkriegen. Das habe ich meiner Schwester versprochen."
Dann erzählt sie vom Juni 2020, als sich ihre jüngere Schwester Katherine mit dem Corona-Virus infiziert hatte. Damals war in Peru das Gesundheitssystem kollabiert, weswegen Katherine an den Pforten der Krankenhäuser abgewiesen wurde. Also nahm Gabriela ihre alleinerziehende Schwester samt Kindern kurzerhand auf und wollte sie bei sich auf einer Matratze gesund pflegen.
Gabriela Zarate lebt mit neun Kindern - nur fünf davon sind ihre eigenen. Die anderen vier sind die Corona-Waisen ihrer an Covid-19 verstorbenen Schwester Katherine.
Sauerstoff - zu teuer für viele
Als Katherine immer schlechter atmen konnte, versuchte Gabriela, Sauerstoff zu kaufen. Der war damals aber in Peru knapp. Man bekam ihn nur noch auf den Straßen zu kaufen - auf dem Schwarzmarkt zu horrenden Preisen, die sich die Schwestern nicht leisten konnten. Katherines letzter Wunsch war es schließlich, dass Gabriela sich um ihre vier Kinder kümmert, damit diese nicht im Heim landen - denn der Vater sitzt eine Gefängnisstrafe ab. Dann starb sie qualvoll.
Gabriela zieht die vier Kinder seitdem zusammen mit ihren fünf eigenen auf. Im engen Haus ihres Onkels, in dem sie leben, ist zwar kaum Platz für so viele Menschen, aber für eine größere Unterkunft fehlt Gabriela und ihrem Mann das Geld. Er arbeitet als Fahrer eines dreirädrigen Mototaxis, das immer wieder kaputt geht. Gerade sind die Bremsen defekt. Um etwas hinzuzuverdienen, recycelt Gabriela Müll. "Es wird aber immer schwieriger, etwas Verwertbares zu finden", klagt sie.
Mehr als 210.000 Corona-Tote
Immerhin: Für jedes der vier Kinder erhält sie eine staatliche Waisenrente von 50 Euro im Monat. Das reiche für Obst, Gemüse, Nudeln und den Transport zur Schule. Oft holt sie das Abendessen aus einer Suppenküche in der Nachbarschaft, weil es dort günstiger ist. Zu Hause mischt sie dann Reis hinzu, damit die Mahlzeit nahrhafter wird.
Das Schicksal von Gabrielas Nichten und Neffen ist kein Einzelfall. Der Andenstaat wurde wie kaum ein anderer hart von der Pandemie getroffenen. Im weltweiten Vergleich liegen die Todesfälle pro 100.000 Einwohnern nirgendwo derart hoch wie in Peru: Mehr als 210.000 Tote bei einer Bevölkerung von knapp 33 Millionen.
Das klapprige Mototaxi ist eine der Einnahmequellen der Familie Zarate - aber es muss immer wieder repariert werden.
Die Ursachen liegen einerseits im prekären Gesundheitssystem des Landes, andererseits im riesigen informellen Sektor: Dieser erlaubte es kaum jemandem, so lange in häuslicher Quarantäne zu bleiben, bis die Krankenhäuser entlastet wurden. Katherine hatte als fliegende Händlerin Süßigkeiten verkauft. Ihre Kinder sahen sie sterben, was alle bis heute traumatisiert hat. Überall in Peru gibt es nun Corona-Waisen, weil viele alleinerziehende Mütter an Covid-19 gestorben sind.
"Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll", klagt Gabriela. Einer geregelten Arbeit kann sie kaum nachgehen, weil die neun Kinder den Großteil ihrer Zeit beanspruchen. Immerhin haben sie Träume: Der 13-jährige Santos will Polizist werden, sagt er, während der er über seinen Hausaufgaben sitzt.